Nachruf:Mein Berlin

Krimiautor Horst Bosetzky

Von Berlin als Schauplatz und Tatort erzählen: Horst Bosetzky.

(Foto: Jens Kalaene/dpa)

Im Alter von 80 Jahren ist der große Kriminalschriftsteller Horst Bosetzky am Sonntag gestorben. Zum Abschied bringen wir diesen Essay über sein Werk, den er vor kurzem für die SZ schrieb.

Von Horst Bosetzky

Horst Bosetzky, einer der großen deutschen Romanautoren, ist gestorben. Er hat seit den Siebzigern ein gewaltiges Corpus von Texten hinterlassen. Damals, Anfang der Siebziger, war das ungewöhnlich und aufregend, ein deutscher Krimiautor, der das Genre ernst nahm, mit viel Raum für die bundesdeutsche Realität. 1971 veröffentlichte Bosetzky, geboren am 1. Februar 1938 in Berlin, seinen ersten Kriminalroman, in der Reihe rororo-Thriller, die sich von allen Krimireihen - jeder Verlag, der etwas auf sich hielt, hatte damals eine solche - am weitesten auf das Feld der sozialkritischen und psychologischen Krimis vorwagte. Die Krimis erschienen unter dem Pseudonym "-ky", denn hauptberuflich war Bosetzky Professor für Soziologie an der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege der Stadt Berlin. Einer seiner ersten Romane, "Einer von uns beiden", wurde im Jahr 1974 fürs Fernsehen verfilmt, von Wolfgang Petersen. (1972, mit Jürgen Prochnow). Er verfasste Hörspiele und schrieb Drehbücher für Fernsehserien. In den Neunzigern begann Bosetzky dann mit einer mehrteiligen Familiensaga, in die auch seine eigene Familiengeschichte einfloss. Nach langer Krankheit starb Horst Bosetzky am Sonntag im Alter von achtzig Jahren in Berlin.

Über seine Arbeit verfasste er vor wenigen Wochen diesen Essay, der in der SZ-Krimi-Beilage im Herbst 2018 erscheinen sollte. Nun ist dieser Text zu einem Abschiedsspaziergang des Autors durch die Welt seiner Romane geworden. SZ

Im Jahr 2017 hat es laut polizeilicher Kriminalstatistik in Berlin 91 Fälle von Mord und Totschlag gegeben (bei einer Aufklärungsquote von 87,9 Prozent). Vier Morde pro Tag, das ist für einen eingeborenen Krimischreiber sehr anregend. Alles was ich mir ausdenke, wird mir bei diesem Sachstand als authentisch abgenommen. In der Bevölkerung gelten - besonders nachts - als no go areas: der Alexanderplatz, das Kottbusser Tor, der Hermannplatz, der Görlitzer Park, die Hasenheide, der Tiergarten, vielleicht auch der Nollendorfplatz und einige U-Bahnhöfe, besonders Osloer Straße. Für Juden kommt noch die Neuköllner Sonnenallee hinzu.

Ein alter Berliner wie ich hat zudem unsere prominenten Mörder und Serientäter fest im Gedächtnis abgespeichert: Carl Großmann, die "Bestie vom Schlesischen Bahnhof", Paul Ogorzow, der "Berliner S-Bahnmörder", Elisabeth Kusian, die "mordende Krankenschwester" und Thomas Rung, der als der "gefährlichste Serienmörder Berlins seit Kriegsende" gilt. Und was die Berliner Kripo betrifft, da haben wir mit Ernst Gennat (1880-1939) einen solch legendären Kommissar wie wohl kaum eine andere deutsche Stadt.

Kein Wunder, dass ich als Student, der sein Studium zum Teil selbst finanzieren musste, auf die Idee gekommen bin, Heftromane zu schreiben, und bei Bastei suchten sie gerade Krimiautoren. Ich griff zu, obwohl ich bis dato nur einen einzigen Kriminalroman richtig gelesen hatte: Axel Alts "Der Tod fuhr im Zug". Es ist die mit schlimmer Nazi-Ideologie getränkte Geschichte des Berliner S-Bahnmörders. Daraus ist später bei mir - politisch korrekt - der Roman "Wie ein Tier" geworden.

Als Soziologe und Amateurhistoriker geht es mir immer auch darum, Milieus und Kieze zu beschreiben (ich muss meinem Ruf als "Erfinder des Soziokrimis" gerecht werden). Und da ich von Conan Doyle gelernt habe, wie wichtig es ist, auch bei den fantasiereichsten Geschichten den Anschein von Authentizität zu erwecken, wähle ich als Tatorte und Schauplätze immer nur Orte, an denen ich selber gewohnt, öfter Freunde und Verwandte besucht oder die ich als Flaneur kennengelernt habe.

Aufgewachsen bin ich in Neukölln, habe von 1938-59 in der Ossa- und Treptower Straße gewohnt. Auf die Welt gekommen bin ich in Köpenick in einer Klinik am grünen Strand der Spree, und da lag es nahe, einen Roman über Bruno Lüdke zu schreiben ("Der Teufel von Köpenick"), dem die Nazi über 80 Morde angehängt haben, obwohl er mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht einen einzigen begangen hat.

Zum Bezirk Treptow-Köpenick gehört auch Schmöckwitz, das Paradies meiner Kindheit und Jugend, und natürlich wird dort in "Nichts ist verjährt" eine zu DDR-Zeiten vergrabene Leiche gefunden, und in "Eingebunkert" geht es um die Ruine des mitten im Wald gelegenen Luftschutzbunkers, indem ich als Junge oft selbst gesessen habe. In "Teufelssee" liegt der Tatort in den Müggelbergen. Nicht weit entfernt von Köpenick liegt Karlshorst, wo ich oft war, nicht zuletzt, um mir in der Dorotheastraße 24 die Wohnung des S-Bahnmörders Paul Orgozow anzusehen und mit Nachbarn zu sprechen, die sich noch gut an ihn erinnern konnten.

Zu Mauerzeiten, als meine Kriminalromane als rororo-Thriller in Reinbek bei Hamburg erschienen, ging es mir als West-Berliner auch darum, dem Publikum in der Bundesrepublik unsere "Insel im roten Meer" ans Herz zu legen. So wohnen die West-Berliner Protagonisten in "Schau nicht hin, schau nicht her", dem ersten und einzigen deutsch-deutschen Kriminalroman, natürlich in Kreuzberg. Geschrieben habe ich ihn gemeinsam mit dem inzwischen verstorbenen Leipziger Freund Steffen Mohr.

Vom Görlitzer Bahnhof und der Manteuffelstraße bis hin zum Schlesischen Bahnhof (heute Ostbahnhof) kenne ich jede Straße, denn meine Mutter wie mein Vater sind dort aufgewachsen, eine meiner Großmütter hatte dort ihren Kohlenkeller und ein Onkel lebte dort mit seiner Familie. Ganz in der Nähe des Schlesischen Bahnhofs, in der Langen Straße, war Carl Großmann - "Die Bestie vom Schlesischen Bahnhof" - zu Hause.

Gut kenne ich mich auch in Moabit aus. Die Dorotheenstädtische Buchhandlung von Klaus-Peter Rimpel liegt genau gegenüber dem Kriminalgericht, das sich als Schauplatz geradezu aufdrängt, und nicht weit entfernt gab es lange Zeit das Krankenhaus, in dem die mordende Krankenschwester Elisabeth Kusian - "Der kalte Engel" - gearbeitet hat. Der erste Kappe-Roman - "Kappe und die verkohlte Leiche" - beginnt hier in Moabit. Von dort ist es nicht weit zur Justizvollzugsanstalt Plötzensee. Die kenne ich gut von innen. Nicht als Knacki, sondern als Soziologe, der für den Senat an einer Studie beteiligt war, in der es um den Vergleich von deutschen und ausländischen Straftätern ging.

Nun zur City West. Gemeint ist das Areal um Kurfürstendamm, Breitscheidplatz und Tauentzienstraße in den früheren Bezirken Charlottenburg, Schöneberg, Wilmersdorf und Tiergarten. Hier ist, was die Kriminalität betrifft, "imma wat los". Fangen wir mit der Bleibtreustraße an, wo sich im Juni 1970 Klaus Speer, damals der "Pate von Berlin", eine wilde Schießerei mit "Perser-Eddie" lieferte. Es ging um die Macht im Revier - und das war der ganze Kudamm mit seinen Seitenstraßen. Bei Alteingesessenen ist die Bleibtreustraße seitdem die Bleistreustraße. Natürlich will ich in jedem Roman auch für meine Heimatstadt werben.

In meiner frühen rororo-Thriller-Zeit waren die Kriminalromane mit nur 128 Seiten recht dünn, weil die damalige Drucktechnik nichts Anderes zuließ, heute aber muss man 350 000 Computerzeichen liefern, das ergibt dann etwa 275 Seiten. Wie die nun füllen? Alles muss breiter werden, immer neue Handlungsstränge kommen hinzu. Ich löse das Problem zumeist dadurch, dass ich meine Protagonisten pausenlos U- und S-Bahn fahren lasse, und auch Autofahrten ausführlich beschreibe.

Sechs kurze U-Bahnstationen auf der U3 sind es vom Fehrbelliner Platz bis zur FU (früher war am Thielplatz auszusteigen, heute heißt die Station Freie Universität). Auf dem Campus der FU habe ich als Student und Assistent fast ein Jahrzehnt zugebracht, hier beginnt mit "Einer von uns beiden" auch meine Karriere als Kriminalschriftsteller. Lange bevor das in Wirklichkeit vielfach geschehen ist, lasse ich einen Studenten herausfinden, dass einer seiner Professoren bei seiner Dissertation ein Plagiat begangen hat.

Früher gab es in Kladow an der Grenze zur DDR das Schloss Brüningslinden und eine tiefe Grube, in der unser Senat Kohle lagerte, falls es wieder eine Blockade geben sollte. Heute dehnt sich hier ein Golfplatz, in dessen noblem Casino die Kladower High Society gern feiert. Unternimmt man hier einen Spaziergang, geht der Blick hinüber zum alten britischen Flugplatz Gatow, einer Hinterlassenschaft der Besatzungszeit. Hier befindet sich auch die General-Steinhoff-Kaserne mit dem Militärhistorischen Museum der Bundeswehr. Bei mir spielen "Ein Toter führt Regie" und "Auf leisen Sohlen" weithin in Kladow.

Vom tiefen Süden Berlins in den hohen Norden. Nach unzähligen Spaziergängen mit meinem Collie und Fahrradausflügen allein und mit meinen Kindern, kenne ich in Hermsdorf, Heiligensee und Frohnau nahezu jede Straße und jedes Waldstück nach Tegel hin, und so spielen viele meiner Kriminalromane (wie auch einige Bände meiner Familiensaga) dort.

Zum Schluss für alle die, die über so viel -ky nur stöhnen können und nicht extra nach Berlin kommen, um sich meine Tatorte und Schauplätze anzusehen, noch ein paar reale und nicht nur fiktive Schauplätze von Mord und Totschlag in Berlin. Beginnen wir mit dem Jahr 1325, als Berliner Bürger den Propst Cyriacus von Bernau vor der Marienkirche erschlagen haben, weil er in seiner Predigt gegen ihren Markgrafen gehetzt und ihnen die Zahlung des Peterspfennigs abverlangt hatte.

Weiter geht es mit dem Jahr 1364, wo aufgebrachte Ehemänner den Magdeburger Lebemann Conrad Schütz in der Nähe des Mühlendamms ermorden, weil er sich an ihre Frauen herangemacht hat. Heute denkt man bei unserem Thema zuerst an den 15. Januar 1919, an dem Freikorpssoldaten Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht erst im Tiergarten erschossen und dann Luxemburgs Leiche in den Landwehrkanal warfen. Im kollektiven Gedächtnis der Berliner sind auch das Attentat auf Rudi Dutschke abgespeichert, das am 11. April 1968 vor dem Hause Kurfürstendamm 141 stattgefunden hat, und der Anschlag auf den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche, wo der islamistische Terrorist Anis Amri am 19. Dezember 2016 gegen 20 Uhr einen Sattelzug in eine Menschenmenge gesteuert hat.

Als Schlusswort ein lieber Gruß nach München. Was den Fußball, den Basketball und das Eishockey angeht, da seid ihr uns Berlinern haushoch überlegen, aber bei Mord und Totschlag sind wir Spitze.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: