Süddeutsche Zeitung

Nachruf:Johannes Hösle

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Der Romanist Johannes Hösle hat in Regensburg italienische Literaturgeschichte gelehrt - und im Alter einen Schatz gehoben: seine Kindheits-geschichte.

Von Willi Winkler

Es ist gut und vor allem löblich, wenn sich einer sein Leben lang der Literaturgeschichte widmet, namentlich der italienischen, die Studenten also in die Feinheiten der Goldoni'schen Komödien einführt und sie mitnimmt auf Dantes Pilgerfahrt durch Himmel und Hölle, ohne dabei Paveses Schwermut zu vernachlässigen und schon gar nicht das Paar, das sich bei Manzoni so ergreifend versprochen hat. Wenn einer sich dann auch noch in der katalanischen Dichtung auskennt, den Molière nicht aus den Augen verliert und überdies vier Jahre das Goethe-Institut in Mailand geleitet hat, kommt leicht das zusammen, was am Ende als Lebenswerk gerühmt wird. Aber Johannes Hösle, der am vergangenen Freitag im Alter von 88 Jahren in Regensburg gestorben ist, war nicht nur Professor für Romanische Literaturwissenschaft an der dortigen Universität, sondern hütete einen literarischen Schatz, den er erst nach seiner Emeritierung freigab: seine eigene Kindheit.

Hösle wurde 1929 in Erolzheim geboren. Das ist so klein, dass es sich auf der Landkarte im württembergischen Vorallgäu verliert, aber für das Kind war es riesengroß und vor allem das Land Gottes. "Gott war überall. Er hörte alles, Er sah alles, Er wusste alles. Wenn ich brav war, dann freute Er sich, wenn ich böse war, dann zürnte Er." Manchmal zürnt auch die Lehrerin, dann prügelt sie einen Schüler und fragt ihn dabei: ,Gottfried, spürst was?' Während Gottfried brüllte, wusste ich plötzlich, was Sünde ist." Diese fundamentalfromme Welt reicht bis in den Titel, den Hösle dem ersten Band seiner Erinnerungen gab: "Vor aller Zeit" ist ein halber Vers aus dem deutschen "Te Deum" und bezeichnet haargenau die archaische Welt einer mit strenger Frömmigkeit nur mäßig gelinderten, fast schriftlosen Armut, aus der sich das Kleinhäuslerkind mit Karl May und Lateinstunden herausarbeitet.

Gott ist überall, aber zum Glück die Sünde auch. Die Fleischeslust, die böse, meldet sich früh in dieser mit allen Sinnen erinnerten Kindheit, wenn der Bub sich verstohlen an einem Kalenderblatt labt, das ein fast nacktes Mädchen mit wehendem Haar am Meer zeigt. So verschwindet dann irgendwann auch der allgegenwärtige Gott, das Kind wird mithilfe der Literatur frei, doch das ist wieder eine ganz andere Geschichte. Johannes Hösle hat sie erlebt.

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Quelle:
SZ vom 02.01.2018
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