Nachruf:Im Wärmestrom aus Tönen

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Einzigartiger Energiespender, großartiger Lehrer: Heinrich Schiff, 1951 - 2016. (Foto: Hermann Wöstmann/dpa)

Heinrich Schiff, der große österreichische Cellist, ist in der Nacht zum Freitag gestorben. Er prägte eine ganze Generation jüngerer Kollegen.

Von Harald Eggebrecht

Wer Heinrich Schiff erlebt hat, wird die umwerfende Dynamik und Lebendigkeit, mit der er Violoncello spielte und so die Musik, die er gerade unter den Händen hatte, auflud und zum explosiven Ereignis machte, nie vergessen. Dabei war der stämmige kraftvolle Mann mit dem mächtigen Kopf kein Berserker, sondern ein überlegender, in Dingen der musikalischen Aufführungspraxis höchst kenntnisreicher, technisch brillanter und in der Phrasierungskunst raffinierter Virtuose. Doch was Schiff auch spielte, er erfüllte die Musik immer mit seiner mitreißenden, manchmal geradezu berstenden Vitalität, der Ovationen in allen Konzertsälen der Welt antworteten. Bei Schiffs Ton fiel eine Grunderregtheit auf, die so etwas wie klangliche Gelassenheit nicht kannte. Innerhalb dieses Tonbildungsraums verfügte er über ein schier grenzenloses Variationspotenzial von heftigster Attacke bis zu tonlosem Ersterben, von romantischem Fieber bis zu konstruktiver Klarheit, von barocker Leichtigkeit bis zum mitreißenden Wärmestrom.

Seine Neugier auf neues Repertoire war unersättlich

Heinrich Schiff wurde 1951 in Gmunden geboren. Er begann, sechs Jahre alt, mit dem Klavier, wandte sich aber vier Jahre später unter Anleitung des Vaters dem Cello zu. Die Begabung war offensichtlich, und so studierte er in Wien bei Tobias Kühne und, entscheidend, bei dem berühmten Franzosen André Navarra, der eine ganze Generation von Cellisten geprägt hat. Navarras Bogentechnik, die dem Celloton Konsistenz und Präzision in allen Lagen und dynamischen Registern geben soll, eignete sich Schiff bezwingend an.

1971 debütierte er in London, die Karriere entwickelte sich unaufhaltsam rund um die Erde. Schiff hat mit allen bedeutenden Orchestern und unter gegensätzlichsten Dirigiergrößen von Claudio Abbado bis zu Michael Gielen, von Colin Davis bis zu Nikolaus Harnoncourt gespielt. Ende der Achtzigerjahre bot er bei den Münchner Philharmonikern unter Sergiu Celibidache denkwürdig Antonin Dvořáks Konzert als große Sinfonia concertante für Cello und Orchester - nicht, wie oft missverstanden, als Solistenkonzert mit Begleitung.

Selbstverständlich setzte sich Schiff, dessen Repertoire-Neugier unersättlich war, mit neuer Musik auseinander, er hat mit Komponisten wie Hans Werner Henze, Ernst Křenek., Witold Lutosławski, Krzysztof Penderecki oder Wolfgang Rihm zusammengearbeitet, Er hat auch dem von Cellokollegen gefürchteten sperrigen Konzert von Arnold Schönberg mit seinem Furor Beine gemacht. Viele Jahre spielte er auf dem legendären Stradivari-Cello Mara, dem Wolf Wondratschek einen Roman widmete. Schiff verlegte sich seit 1990 erfolgreich auch aufs Dirigieren. Doch bedeutsamer ist seine Wirkung als großartiger Lehrer, denn auch hier packte er mit unwiderstehlicher Intensität seine Schüler und führte sie ins Zentrum der Musik. Schiff spielte nicht so sehr vor, sondern er zeigte, demonstrierte, fragte nach, forderte und beobachtete, aber er wollte keine Imitation. Davon haben unterschiedlichste Talente profitiert, wie etwa Christian Poltera, Valentin Radutiu oder Julian Steckel, um nur drei zu nennen. Heinrich Schiffs Tod trifft die Musikwelt tief, sie trauert um den einzigartigen Energiespender, der in der Nacht zum Freitag in Wien gestorben ist.

© SZ vom 24.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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