Nachruf:Gertrude Himmelfarb ist tot

Gertrude Himmelfarb in New York on Dec. 18, 1983. (Fred R. Conrad/The New York Times)

Erfinderin der „intellektuellen Biografie“: Die konservative Historikerin Gertrude Himmelfarb (1922-2019).

(Foto: Fred R. Conrad/The NewYorkTimes/Redux/laif)

Bis ins hohe Alter publizierte sie, immer brillant und eigenwillig. Am Montag starb die Historikerin mit 97 Jahren.

Von Thomas Meyer

Als Gertrude Himmelfarb 1950 ihre Dissertation über den 1902 in Tegernsee verstorbenen englischen Konservativen Lord Acton einreichte, gab sie ihr den Untertitel "an intellectual biography". Damit erfand sie ein Genre, das erst Jahrzehnte später populär werden sollte. Die kleine Geschichte ist beispielhaft für Himmelfarbs Leben und Werk. Die 1922 in New York in eine russisch-jüdische Einwandererfamilie Geborene musste, um zu überleben, neugieriger, schneller und vor allem unangepasster sein als ihre privilegierten Zeitgenossen. So sympathisierte sie zunächst mit dem Trotzkismus, heiratete Irving Kristol und die beiden wurden bis zu seinem Tod 2009 eines der einflussreichsten Paare der "New York Intellectuals". Während Kristol in den Zeitschriften "Commentary" und "Encounter" die Figur des "Neokonservativen" etablierte, suchte Himmelfarb nach den moralischen und politischen Standards, welche die Aufklärung überdeckt hatte. In ihrer Studie "Victorian Minds" (1968) zeigte sie auf, wie sich diese Standards in Zeiten der Krise erhalten und zugleich veränderten.

Überhaupt lässt sich in den meisten ihrer 24 Bücher feststellen, dass Himmelfarb keinerlei Sehnsüchte nach den alten Zeiten hatte. Kritisierte sie etwa neue Tendenzen in der Geschichtswissenschaft, dann nur, um für das Nebeneinander von alten und neuen Einsichten zu werben. Dass die Sicherheit des Schweigens ins Ressentiment führt, war Himmelfarb klar. Auch deshalb publizierte sie, stets brillant und immer eigenwillig, bis ins hohe Alter. Am Montag dieser Woche ist sie mit 97 Jahren verstorben.

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