Süddeutsche Zeitung

Nachruf:Gegen den faulen Zauber

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Er war eine Schlüsselfigur zwischen alter jugendbündischer und neuer Jugendprotest-Kultur: Arno Klönne. 1955 promovierte der Soziologe mit einer Studie über die Hitlerjugend. Noch beim jüngsten Ostermarsch ergriff er das Wort.

Von Volker Breidecker

Schon die Kinder mussten im Dritten Reich auf "Liebe und Treue zum Führer und unserer Fahne" schwören. Auf allen Stationen ihrer Sozialisation - Familie, Schule, Jungvolk - wurde ihnen die nationalsozialistische Weltanschauung eingeimpft. In der Ellbogengesinnung der Nachkriegszeit wirkte diese Mentalität weiter, in Autoritarismus und Rechtsextremismus findet sie sporadische Erneuerung. Diesen Nexus hat in der Jugendforschung niemand genauer untersucht als der Soziologe Arno Klönne, der - wie gemeldet - vergangenen Donnerstag starb.

Geboren 1931 in eine Bochumer katholische Lehrerfamilie, bildete Klönne beizeiten Antikörper gegen den faulen Zauber des nationalsozialistischen Jugendmythos, der die bündische Jugendbewegung aufgesaugt hatte. Die Mutter, Leiterin einer Pfarrbibliothek, bot dem Knaben Zugang zu verbotener und sekretierter Literatur. Der Student der Soziologie, Geschichte und Politik promovierte 1955 bei Wolfgang Abendroth mit der Studie "Hitlerjugend. Die Jugend und ihre Organisation im Dritten Reich", die bis heute das Standardwerk zum Thema HJ geblieben ist. Bei dem Münsteraner Soziologen Helmut Schelsky wurde Klönne Assistent, von 1978 bis 1996 war er Hochschullehrer in Paderborn. Die Untersuchung der Jugendmilieus der NS-Ära erweiterte er im Blick auf abweichende Sub- und Gegenkulturen wie die "Edelweißpiraten", die "Swing-Jugend" oder das jüdische "Schwarze Fähnlein".

Seine akademische Laufbahn hatte Klönne für fünf Jahre als Landesjugendpfleger in Wiesbaden unterbrochen. Am Stammsitz der Nerother Wandervögel kam er mit den einst von der HJ absorbierten Resten alter Bünde in Berührung, die sich neu formierten: So auch die ordensähnliche "dj 1.11" ("Deutsche Jungenschaft vom 1. 11. 1929"), der er selbst nahestand und aus der sich später Kader des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds (SDS) rekrutierten. Als Reaktion auf den Ausschluss des SDS aus der Mutterpartei hatte Klönne die SPD 1961 verlassen, kehrte allerdings wieder zurück, bis er ihr, die sich in seinen Augen in einen unpolitischen "Kanzlerwahlverein" verwandelt hatte, endgültig den Rücken kehrte.

Arno Klönne war Autor der Zeitschrift Song, Mitbegründer des "pläne"-Schallplattenverlags, Exponent der Ostermarschbewegung, deren Anhänger über Pfingsten zu den Liederfestivals auf Burg Waldeck weiterzogen. Noch bei einem der diesjährigen Ostermärsche ergriff er das Wort. Aus seiner Polemik gegen die vermeintliche "Kriegstreiberei" des Westens gegenüber Putins Russland sprach noch einmal die ganze, zwischen blauer Bluse, braunem Hemd und roter Nelke oder zwischen Balalaika und Banjo angesiedelte Ambivalenz der Jugendbewegung des vergangenen Jahrhunderts.

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SZ vom 08.06.2015
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