Er war ein Bürgerskind, Sohn eines Lebensmittelhändlers und einer Schneiderstochter. Und wurde zum bedeutendsten Slawisten, den die DDR hervorgebracht hat. 1934 in Breslau geboren, kam Fritz Mierau noch vor dem Krieg als Kind mit seinen Eltern ins sächsische Döbeln. Die raue Seite des Russischen lernte er 1945 kennen, als er der Roten Armee Kartoffeln stahl. In seiner Autobiografie "Mein russisches Jahrhundert" (2002) hat er diese Schlüsselszene beschrieben. Und die Berliner "Gegen-Universität", die ihn wie sein Nicht-Eintritt in die SED davor bewahrte, eine normale akademische Karriere zu machen: das Berliner Ensemble Brechts, die Ausstellungen von Barlach und Picasso, die Filme von Chaplin und Karl Valentin.
Die Listen der Selbstbehauptung muss er früh gelernt haben. Denn sein Lebensprojekt, die Wiederentdeckung der russischen Moderne und sowjetischen Avantgarde, stand quer zum offiziellen Kanon. Er übersetzte und anthologisierte, was in Sowjetunion und DDR zugunsten der Doktrin des sozialistischen Realismus verfemt wurde: den russischen Formalismus, Sergej Tretjakow, Ossip Mandelstam, Anna Achmatowa. Seine Bücher, "Russen in Berlin" (1987) oder "Die Erweckung des Wortes" (1987) wirkten weit über die DDR hinaus. Gemeinsam mit seiner Frau Sieglinde Mierau erarbeitete er in den Wanderjahren Werkausgaben des anarchistischen Einzelgängers Franz Jung und des Priesters und Universalgelehrten Pawel Florenski, der 1937 dem stalinistischen Terror zum Opfer fiel. Seine Bücher wurden nicht zuletzt deshalb gelesen, weil sie - er war jahrzehntelang Mitarbeiter der Zeitschrift Sinn und Form - ausnehmend gut geschrieben waren. Am Sonntag ist Fritz Mierau im Alter von 83 Jahren in Berlin gestorben.