Nachruf auf Jean-Louis Trintignant:Kenner alles Menschlichen

Nachruf auf Jean-Louis Trintignant: Am Ende seines Lebens ließ er die Zuschauer in sein Herz blicken: Jean-Louis Trintignant bei einer Pressekonferenz zum Film "Happy End".

Am Ende seines Lebens ließ er die Zuschauer in sein Herz blicken: Jean-Louis Trintignant bei einer Pressekonferenz zum Film "Happy End".

(Foto: Laurent Emmanuel/AFP)

Er war einer der stilleren Stars des französischen Kinos, unvergesslich in Filmen wie "Ein Mann und eine Frau" und "Liebe": Jean-Louis Trintignant ist im Alter von 91 Jahren gestorben.

Von Tobias Kniebe

Ein verschlossenes Gesicht, hinter dem Gott weiß was vorgehen konnte. Ein In-sich-Versunken-Sein, schwankend zwischen Starre und Momenten des Aus-der-Haut-Fahrens. Aber auch eine Unbekümmertheit, die ihn zum Helden jugendlicher Romanzen und großer Liebesfilme werden ließ. "Ich habe ihn gewählt, weil mir immer, wenn ich an ihn denke, sofort zwei Adjektive in den Sinn kommen: bewegend und zwielichtig", hat Regisseur Bernardo Bertolucci über Jean-Louis Trintignant gesagt.

Einer der großen Schauspieler des französischen Kinos ist tot, und dass er kein Name wurde, mit dem die dicksten Billboards um Zuschauer warben, liegt vielleicht genau daran - dass er gern der Mann im Zwielicht war. Er schien sich darin zu gefallen, schwer durchschaubar zu sein. Als Verführer zeigte er nie wirkliche Entschlossenheit, aber auch als Killer wirkte er nie ganz bei der Sache. Gerade das aber eröffnete ihm die Möglichkeit, in unzähligen Filmklassikern dabei zu sein und sie mit seiner Präsenz zu prägen.

Das reicht vom schüchternen Ehemann, an dessen Seite Brigitte Bardots 1956 zu Weltruhm kam, in "Und immer lockt das Weib". Über den Rennfahrer an der Seite von Anouk Aimée, der die Franzosen in die Komplexität moderner Beziehungen einführte, in Claude Lelouchs vielgeliebtem "Ein Mann und eine Frau". Es geht weiter mit dem Agenten und Auftragskiller der italienischen Faschisten, den er unvergesslich in Bertoluccis "Der Konformist" verkörperte, und am Schluss stehen die großen Alterswerke für Michael Haneke, allen voran die Todesfuge "Liebe" mit Emmanuelle Riva.

Jean-Luis Trintignant, geboren 1930 in Piolenc im Département Vaucluse, wollte in seinen Jugendjahren, wie sein Onkel Maurice, Rennfahrer werden - auch deshalb wirkte seine Rennfahrer-Romanze so authentisch. Dann aber entschied er sich für einen Start am Theater. "Ich wollte meine fast krankhafte Schüchternheit loswerden. Ich hoffte, die Schauspielerei würde mich auflockern." In mehr als 160 Filmen hat er schließlich mitgewirkt, die Namen vieler großer Autorenfilmer sind dabei: Éric Rohmer, Costa-Gavras, Claude Chabrol, Ettore Scola, François Truffaut, Krzysztof Kieślowski.

In seiner Karriere erlebte er mehrere große Phasen, besonders einprägsam aber wurde er als Gesicht der Sechzigerjahre, ein Mann des Aufbruchs zwischen Gestern und Morgen. Sein Gesicht war immer etwas zu sanft für die wirklich harten Rollen, und zu viril, um wirklich eine weiche Figur zu sein. Auch in Bertoluccis "Der letzte Tango in Paris" war er zunächst als Hauptdarsteller vorgesehen, für die Rolle, die dann Marlon Brando spielte. Es wäre ein völlig anderer Film geworden - kein größerer Kontrast ist denkbar als der zwischen Marlon Brandos Actors-Studio-Entblößung und den minimierten Ausdrucksformen Trintignants.

Obwohl er in dieser Zeit mit fast allen wichtigen Regisseuren drehte, war Francois Truffaut lange nicht dabei. Das wurmte Trintignant schließlich so, dass er 1979 einen Brief an den Regisseur schrieb: "Ich hätte zu gern in Ihren Filmen mitgespielt. Ich bin überzeugt, dass Sie mit mir als Schauspieler zufrieden gewesen wären. Vielleicht habe ich etwas an mir oder an meiner Art zu spielen, was Ihnen nicht gefällt?"

Die Antwort war dann auch für ihn überraschend: Truffaut sah sich selbst in Trintignant, er hielt ihn für den einzigen Schauspieler, der jene Rollen hätte übernehmen können, die er in seinen Filmen persönliche spielte. Im Jahr 1983 kam es dann doch noch zu einer Zusammenarbeit, in Truffauts letzten Film "Auf Liebe und Tod". Da durfte Trintignant mit Fanny Ardant auftreten: "Weil er diesen neutralen, jede Effekthascherei vermeidenden Ton der Darstellung besitzt, der Frauen an seiner Seite ungehindert zur Entfaltung kommen lässt", erklärte Truffaut. Und es ist wahr: Den ganzen legendären Frauen an seiner Seite - gleich mehrfach zum Beispiel Jeanne Moreau, etwa in "Mata Hari", Romy Schneider, etwa in "Das wilde Schaf" und Catherine Deneuve etwa in "Die Entfesselten"- er nahm ihnen mit seinem Spiel nichts weg, schuf keine Konkurrenzsituation. Sondern ließ sie nur umso stärker strahlen.

In seinen ganz späten Filmen bei Michael Haneke kommt dann noch etwas anderes hinzu, ein nicht mehr auslöschbares Wissen um die Grausamkeit des Schicksals und die Verletzlichkeit der Liebe. Trintignant drehte sie, nachdem seine Tochter Marie 2003 von ihrem Partner, dem Sänger Bertrand Cantat, zu Tode geprügelt worden war, und er sich für viele Jahre aus dem Filmgeschäft zurückgezogen hatte. Dass er sein Publikum trotzdem noch einmal in sein Herz blicken ließ, vielleicht mehr als je zuvor - das macht Hanekes "Liebe" und "Happy End" so einzigartig. Und es erfüllt uns Zuschauer mit Dankbarkeit bei der Nachricht, dass dieser große Kenner alles Menschlichen am Freitag gestorben ist. Er wurde 91 Jahre alt.

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