Süddeutsche Zeitung

Nachruf:Eleganter Kosmopolit

Der Altsaxofonist Lee Konitz ist gestorben, der im Jazz der Fünfzigerjahre stilprägend war, gerade weil er so eigen und eigenartig spielte.

Von Oliver Hochkeppel

Brillanz und Eleganz fällt einem als Erstes ein, wenn man an den Saxofonisten Lee Konitz denkt. Der zugängliche und humorvolle, mit seiner Brille - früher horngerahmt, später gerne getönt - intellektuell wirkende Amerikaner bewahrte sich noch in seinen avantgardistischsten Phasen den Sinn für einen warmen, wohlklingenden Ton und das Gefühl für die Bedeutung jeder einzelnen Note. Wobei sein Instrument eine kaum zu unterschätzende Rolle spielte, jenes Altsaxofon, das er 1945 für 150 (von den Eltern geliehenen) Dollar gekauft hatte und bis zuletzt spielte: "Es ist notorisch hoch im oberen Register, so kam ich zu meinem Ruf, dass ich ständig hoch liegen würde. Aber das ist natürlich mein Spiel, mein Ausdruck: Ich neige dazu, den Ton hoch anzuspielen, weil darin mehr Brillanz liegt. Manchmal liege ich dann ein bisschen darüber - völlig asozial, das so zu machen", erklärte er einmal mit dem ihm eigenen Witz.

Damit passte er perfekt - und als einziger Weißer - ins Miles Davis/Gil Evans-Nonett, das 1949 mit "Birth of the Cool" den Cool-Jazz aus der Taufe hob. "Ich war damals der Einzige, der anders als Charlie Parker blies", sagte Konitz, was heute allgemein anerkannt ist. So wurde er zu Parkers Antipoden und lange zweitwichtigstem Altsaxofon-Stilisten des Jazz. Wegweisend waren seine Kollaborationen mit Lennie Tristano, Stan Kenton, Gerry Mulligan oder Wayne Marsh. Vom Cool ging es zum Modern Jazz, wo Konitz jede neue Herausforderung annahm. Besonders auffällig sind die vielen Duos unter seinen gut 150 Einspielungen. Doch der aus Chicago stammende, Konitz war auch einer der ersten Jazz-Kosmopoliten. Zunächst zog er ganz pragmatisch in die Jazzhauptstadt New York. Zeitweilig lebte er dann aber auch in Schweden und Kanada, in Lörrach und in Köln. Und seit jeher spielte er nicht nur mit den US-Größen, sondern auch mit den besten Europäern wie Albert Mangelsdorff, Attila Zoller, Hans Koller, Henri Texier, Martial Solal, Stefano Battaglia oder Stefano Bollani. Sein letztes New Quartet bildete er mit dem Minsarah-Trio des deutschen Pianisten Florian Weber. Am Mittwoch ist Konitz 92-jährig in New York an den Folgen einer Covid-19-Erkrankung gestorben.

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Quelle:
SZ vom 17.04.2020
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