Süddeutsche Zeitung

Nachruf:"Ein Sommer in Venedig"

Der polnische Schriftsteller Włodzimierz Odojewski ist gestorben.

Von Jens Bisky

Als Włodzimierz Odojewski 1971 nach München emigrierte, hatte er schon länger an seinem Roman "Zasypie wszystko, zawieje . . . " gearbeitet, dessen Veröffentlichung in der Volksrepublik Polen unmöglich war. Das Buch, das heute in Polen als Meisterwerk verehrt wird, erschien 1973 in Paris, 1977 in deutscher Übersetzung, Titel "Katharina oder alles verwehen wird der Schnee". Schauplatz der Handlung ist die Ukraine in den Jahren 1943/44. Jeder kämpft gnadenlos gegen jeden: Deutsche, Rotarmisten, Partisanen der polnischen Heimatarmee, ukrainische Nationalisten. Das Schicksal der Polen im Osten, von denen Zehntausende Massakern ukrainischer Nationalisten zum Opfer fielen, war eines der Lebensthemen Odojewskis.

Geboren wurde er 1930 in Posen als Sohn eines Komponisten und Musikverlegers. Die Jahre der deutschen Besetzung überlebte er in der Ukraine und in Großpolen. Nach Kriegsende studierte Odojewski Soziologie und Wirtschaft, 1951 erschien seine Erzählung "Adieu an die Geborgenheit", bald leitete er das Studio Zeitgenössisches Theater des polnischen Radios, wurde aber nach den März-Unruhen 1968 entlassen. Von 1972 bis 1994 arbeitete er in München für Radio Free Europe, in der Sendereihe "Auf dem roten Index" stellte er in der Volksrepublik Polen verbotene Literatur vor.

Viele deutsche Leser erreichte er mit seinem Roman "Ein Sommer in Venedig" (2008), der Geschichte des neunjährigen Marek, dem die Mutter einen Reise nach Venedig versprochen hatte. Aber daraus wird nichts im Sommer 1939. Der Junge bleibt in Polen, man schickt ihn zu seiner Tante Weronika aufs Land. Dieser Roman über die Kraft der Fantasie erklärt, warum Włodzimierz Odojewski oft der letzte Romantiker der polnischen Literatur genannt wurde. Am 20. Juli ist er 86-jährig in Piaseczno gestorben.

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Quelle:
SZ vom 25.07.2016
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