Dass sich im Philosemitismus der Nachkriegszeit nur der alte Antisemitismus in neuen Kleidern zeigte, hat Edgar Hilsenrath in seinem berühmtesten Roman beschrieben. Dieser Umstand beeinträchtigte aber auch sein Schriftstellerleben. Maßvoll, kalt und klar, so glaubte der hauptamtliche Literaturgeschmack der BRD, müsse alle Erinnerungsliteratur sein. Die Groteske und der Sarkasmus des Holocaust-Überlebenden Hilsenrath wurde deswegen lange an den Rand gedrängt. 60 deutsche Verlage lehnten seinen zweiten Roman "Der Nazi & der Frisör" ab, bevor er 1977 doch noch erscheinen konnte. In den USA, in Frankreich, Italien und England war er da längst ein sensationeller Erfolg. Hilsenrath erzählte aus der Perspektive eines NS-Massenmörders, der die Identität eines seiner Opfer, seines Jugendfreundes Itzig Finkelstein, annimmt und sich in Israel als Frisör niederlässt. "Umgekippte Märchenfiguren, bis zum Äußersten unhold, in äußerst unholden Verhältnissen", erkannte Heinrich Böll als Rezensent in diesem Roman und schrieb: "Vielleicht ist das die einzig mögliche Antwort auf die penetrante Versachlichung, die so viele Sachen auslässt."
Schon sein erster Roman "Nacht" (1964) war in Deutschland nur zögerlich wahrgenommen worden. Er schrieb darin, wie in vielen folgenden Romanen, aus seiner biografischen Erfahrung heraus. 1926 in Leipzig geboren und in Halle aufgewachsen, floh seine Mutter 1938 mit ihm nach Siret in Rumänien. 1941 wurde die Familie in das Ghetto Moghilew-Podolsk in der heutigen Ukraine deportiert. Nach der Befreiung durch russische Truppen kam er 1945 nach Palästina. 1951 wanderte er nach New York aus und kehrte 1975 nach Deutschland zurück. Geschrieben hat Edgar Hilsenrath trotz allem immer in deutscher Sprache. Am Tag vor Silvester ist er mit 92 Jahren in der Eifel gestorben.