Süddeutsche Zeitung

Nachruf:Die Stimme Prags

In Deutschland kannte man ihn als Schlagersänger, in seiner tschechischen Heimat war er ein Nationalheld. Ein Nachruf auf Karel Gott.

Von Violetta Simon

Am Mittwochnachmittag traf sich das tschechische Parlament zu einer außerordentlichen Sitzung und beschloss, dass Karel Gott ein Staatsbegräbnis im Veitsdom auf der Prager Burg bekommen, und dass am Tag seines Begräbnisses Staatstrauer ausgerufen werden soll. Ministerpräsident Andrej Babiš und Kulturminister Lubomír Zaorálek hatten das vorgeschlagen. Nun muss nur noch seine Familie zustimmen. Inoffiziell trauert das Land seit seinem Tod am Dienstag sowieso schon.

Aus deutscher Sicht ist das viel Ehre für einen Mann, der im Westen vor allem als Schlagersänger bekannt war. Auch wenn er ganze Generationen durch die Kindheit begleitete, weil er den Titelsong zur Zeichentrickserie "Biene Maja" gesungen hatte. Sein größter Hit in Deutschland, heißt es, sei in 20 Minuten entstanden. In einem Interview mit dem Stern erzählt der tschechische Sänger, der Produzent Karel Svoboda habe ihn 1975 in München auf der Straße getroffen und gefragt: "Was machst du heute Nachmittag?" So sei Karel Gott spontan ins Studio mitgekommen. Es folgten: 1,25 Millionen verkaufte Singles, fünf Goldene Schallplatten.

Er war da schon ein internationaler Star. Geboren am 14. Juli 1939 in Pilsen, trat der gelernte Elektriker zunächst in Prager Tanzcafés und bei Nachwuchswettbewerben auf und wechselte im Alter von 20 Jahren ans Prager Konservatorium. Sein erster Auftritt beim Grand Prix Eurovision de la Chanson 1968 in London, wo er Österreich mit dem Udo-Jürgens-Lied "Tausend Fenster" vertrat, machte ihn im deutschsprachigen Raum bekannt. Von da an war er regelmäßig zu Gast in deutschen Musiksendungen wie bei der ZDF-Hitparade in Köln oder im Palast der Republik in Berlin, der damaligen Hauptstadt der DDR.

Viele nahmen ihm die Staatstreue übel, bis er für die Samtene Revolution auf einer Demo sang

Bei seinem ersten Auftritt 1969 in der Hitparade schmetterte Gott - etwas ungelenk von Moderator Dieter Thomas Heck angekündigt als "unser sympathischer Freund aus der Tschechoslowakei" - den Titel "Weißt Du wohin?", eine Coverversion der "Doktor Schiwago"-Melodie von Maurice Jarre. Der tschechische Akzent, den er bis zuletzt beibehielt, die metallisch klare und zugleich sanft klingende Stimme wurden zu seinem Markenzeichen. Ebenso der Smoking, der ihn deutlich abhob von den Schlagersängern, die damals im Zeitalter des Rock zumindest mit ihrer Kleidung lässig wirken wollten.

Er hatte dann Hits wie "Einmal um die ganze Welt" sowie die Hymne an seine Großmutter "Babička", in deren Haus er als Kind mit seinen Eltern drei Jahre wohnte. Die größten Erfolge feierte Karel Gott in seiner Heimat und in Deutschland, dabei sang er auch auf Französisch, Italienisch, Russisch, Hebräisch, Spanisch, Romani, Polnisch, Ungarisch, Serbokroatisch, Slowakisch. Im Laufe seiner Karriere stand Karel Gott mehr als 60 Jahre auf der Bühne, hat Schätzungen zufolge mehr als 100 Alben herausgebracht und 30 Millionen Tonträger verkauft.

Karel Gott war der einzige Musiker aus dem Ostblock, der auch jenseits des Eisernen Vorhangs dermaßen berühmt wurde. Allerdings war er im eigenen Land nicht unumstritten. Kritiker nahmen ihm seine Nähe zum tschechoslowakischen Staats- und Parteiapparat in der Zeit des Kommunismus übel.

Eigentlich war ihm die Politik immer suspekt. Als Truppen des Warschauer Paktes im Sommer 1968 dem Prager Frühling des gemäßigten Staatspräsidenten Alexander Dubček ein brutales Ende setzten, war er gerade auf Auslandstournee und überlegte kurz, ob er nicht im Westen bleiben sollte. Doch da war er schon ein wichtiger Devisenbringer seiner Heimat, und so kehrte er auch auf Druck des neuen Regimes zurück. Das dankte ihm die Heimattreue mit dem Titel "Nationalkünstler". Der Schriftsteller Milan Kundera beschimpfte ihn für seine Staatstreue aus seinem französischen Exil dafür. Karel Gott erwiderte: "Ich singe Schlager, die mit Politik nichts zu tun haben." Unter den vielen Titeln, die ihm seine Fans verliehen (die "Goldene Nachtigall", der "Sinatra des Ostens") war ihm der "Bote guter Nachrichten" am liebsten. "Ich versuchte stets, auch wenn das nicht wirklich einfach war, mich von allem Politischen abzuschotten und mir meine eigene Welt zu suchen: die der Melodie, der Töne, der positiven Nachrichten", sagte er später einmal.

Ganz heraus hielt er sich dann doch nicht. Als Bürgerrechtler wie der Dramatiker und spätere Staatspräsident Václav Havel am 1. Januar 1977 mit der "Charta 77" Bürger- und Menschenrechte einforderten, unterzeichnete Karel Gott drei Wochen später live im Fernsehen die Anti-Charta der Regierung. Als Superstar wurde er sogar zum Gesicht der Kampagne. "Mir war bewusst, dass ich mich den Umständen in meinem Land anzupassen hatte, wenn ich nicht Berufs- oder Auftrittsverbot bekommen wollte, so wie es vielen Künstlern erging", sagte er viele Jahre später in einem Interview mit der Zeit.

Erst mit der Samtenen Revolution versöhnte er sich wieder mit der Bürgerrechtsbewegung. Da trat er am 4. Dezember 1989 gemeinsam mit dem zuvor ins deutsche Exil geflüchteten Protestsänger Karel Kryl auf den Balkon über dem Wenzelsplatz und sang mit ihm gemeinsam für eine Menge von vielen Zehntausend jubelnden Demonstranten die tschechische Nationalhymne.

So rehabilitierte er sich nicht nur als Sänger, sondern auch als nationale Figur. Ministerpräsident Andrej Babiš twitterte nach seinem Tod: "Karel Gott begleitete mich seit meiner Jugend. Ich dachte, er würde für immer hier sein. Es tut mir unermesslich leid. Ich zünde eine Kerze an und höre mir etwas von ihm aus den Sechzigerjahren an. Meister, ich habe Sie verehrt."

Als Karel Gott am 14. Juli dieses Jahres seinen 80. Geburtstag feierte, wurde ihm zu Ehren ein Null-Euro-Schein mit seinem Konterfei gedruckt, der von einem Plattengeschäft in Prag verkauft wurde. Etwa 800 Menschen hatten am Sonntag im strömenden Regen Schlange gestanden, um einen Geldschein zu ergattern. Zu der Zeit war Gott bereits auf Sardinien, wo er an seiner Biografie weiterschrieb.

Seine letzte Studioaufnahme veröffentlicht er im Mai auf Youtube: ein Duett von ihm und seiner 13-jährigen Tochter Charlotte Ella mit dem Titel "Srdce nehasnou" (Herzen erlöschen nicht). Das Video wurde mittlerweile von fast 16 Millionen Menschen angesehen. Er habe immer gewollt, dass ihm jemand zum Ende seiner Karriere einen Song wie "My Way" schreibe. "Und das ist das Duett jetzt geworden, mein ganz eigenes My Way".

Ende 2015 war Karel Gott an Krebs erkrankt, galt jedoch nach der Behandlung als geheilt. Nach monatelangen Spekulationen um seinen Gesundheitszustand hatte er im September auf seiner Facebook-Seite bekannt gegeben, dass er an Leukämie erkrankt sei. Am Dienstagabend nun ist Karel Gott in Prag seiner Krankheit erlegen. Er wurde 80 Jahre alt.

Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels haben wir an einer Stelle den tschechischen Ministerpräsidenten Andrej Babiš fälschlicherweise als Präsidenten bezeichnet. Dieses Amt hat jedoch Miloš Zeman inne.

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SZ vom 04.10.2019/cat
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