Nachruf:Die Nachtigall

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Gefeiert für ihre leisen Töne, geliebt für ihre Herzlichkeit: Montserrat Caballé, eine der größten Opernsängerinnen, ist gestorben. In ihren besten Jahren war ihr Timbre schöner als das der Callas je war.

Von Egbert Tholl

Elvira freut sich. Bald wird sie heiraten, ihren geliebten Arturo, und in Vorfreude hüpft ihre Stimme durch die Koloraturen. Sie fühlt sich als "reizende Jungfrau im Hochzeitskleid" und so singt sie auch, wie ein sechzehnjähriges Mädchen in einem weißen Kleid, das über eine blühende Wiese springt. Mitreißend ist diese federleichte Freude, die Töne wirbeln wie zarte Blütenblätter im Wind. Nie spürt man, dass da eine Gefahr für das ganz offenbar sehr zarte Wesen lauert. In die Arie eingeschoben ist ein kurzer Dialog zwischen Arturo und Enrichetta, mit der sich der Bräutigam aus dem Staub machen wird, weil diese die Königin von Frankreich ist, die er retten will. Darüber verfällt Elvira eineinhalb Akte lang dem Wahnsinn. Am Ende geht es dann doch noch recht gut aus, der Verstand Elviras klart sich auf, und ihr Onkel Giorgio wird sich daran erinnern, was er, ebenfalls in der Arie des Hochzeitsmädchens im ersten Akt sang: "Wenn ich dein Singen höre, scheinst du mir eine Nachtigall, die der ersten Morgenröte lehrt, vor Liebe zu seufzen."

In ihren besten Jahren war ihr Timbre schöner als das der Callas je war

Als sie die Elvira aus Vincenzo Bellinis Oper "I puritani" auf Platte einsang, war sie längst keine junge Frau im Hochzeitskleid mehr. Aber das hört man nicht. Die Aufnahme mit dem Philharmonia Orchestra unter Riccardo Muti stammt aus dem Jahr 1979, Caballé wurde 1933 geboren. Mithin singt hier keine Sechzehnjährige, sondern eine 46-jährige Frau, die man sich nur schwer als kleines Vögelchen im Geäst eines Baumes vorstellen kann. Und doch hüpft sie wie ein kleines Mädchen, formt perfekte Mimikry im Klang. Nur wenn man weiß, wer da singt, hört man vielleicht eine kleine Schärfe heraus, wenn ein Triller auf einer Stelle stehen bleibt, glaubt man die raue Eigenart nicht mehr ganz junger Stimmbänder zu empfinden. Doch lieber lässt man sich verführen, dem zu glauben, was der Gesang vorgaukelt, denn schließlich ist Oper dafür da.

Es gab und gibt auch viele, die das anders sahen und sehen. Die Stimmspezialistin Cathy Berberian etwa hielt die Caballé für jenen Sängertypus, der sich allein auf den Schönklang der Stimme konzentriert und sich nicht viel um die Bedeutung der Worte oder die Charakteristik der Figur schert. Jens Malte Fischer bemisst in seinem Sängerlexikon "Große Stimmen" die - allerdings für ihn außerordentlich - glücklichen Jahre der Sängerin auf eine kurze Zeitspanne, von 1965 bis 1971. Damals war ihr Timbre schöner als das der Callas je war, damals berückte die immer ein kleines bisschen von Melancholie umwölkte Klarheit ihrer Stimme, damals kam jene Fähigkeit ihrer Stimme voll zum Tragen, für die sie berühmt wurde: In Höhenlagen, in denen sich viele Sopranistinnen nur noch mit Anstrengung und damit entsprechend laut artikulieren können, verfügte sie nicht nur über ein durch keinerlei Krafteinsatz beeinträchtigtes Piano, ihre Stimme konnte auch noch leiser werden, entschweben.

Jenes "Morendo" bringt Stimmfetischisten heute noch um den Verstand, und damals, in der zweiten Hälfte der Sechzigerjahre, waren diese Fetischisten erbarmungsloser als heute. Zumal es die Frage zu beantworten galt, wer nun, nachdem die Callas 1965 von der Opernbühne abgetreten war, die neue Diva sei. Die schwebend-schöne Caballé oder doch die im dramatischen Sinne viel wahrhaftigere Sutherland, um nur eine, auch von Marketingstrategen aufgebaute Konkurrenz aufzugreifen. 1977 klärte die Sache die Callas selbst und verkündete, sie sehe allein die Caballé als ihre legitime Nachfolgerin. Zu Recht: Die Aufnahme von 1979 beweist, dass die Pianokunst der Caballé viel länger währte als jene glorreichen sechs, sieben Jahre. Und dass sie keineswegs diese Kunst um ihrer selbst willen bediente.

Diese von Melancholie umwölkte Klarheit ihrer Stimme: Montserrat Caballé 2006 in Santander. (Foto: Victor Fraile/Reuters)

Monserrat Caballé war nicht mehr jung, als sie schlagartig berühmt wurde. Es war, wie bei so vielen Karrieren, ein Einspringen, 1965 in New York für Marilyn Horne in einer konzertanten Aufführung von Donizettis "Lucrezia Borgia", die mit 20 Minuten Applaus für sie endete. Geboren wurde sie 1933 in Barcelona, wenn man will, kann man das Licht Kataloniens in ihrer Stimme wiederfinden. Schon als Siebenjährige sang sie Bachkantaten, 1942 begann sie am Liceo in Barcelona bei Eugenia Kemeny zu studieren. 1956 hatte sie ihr erstes Engagement, am Stadttheater Basel, sang die Mimi in "La Boheme". 1959 folgte das Stadttheater Bremen, danach sprach sie fließend Deutsch, tourte ein Jahr durch Mexiko, kehrte, nun schon umjubelt, in ihre Heimatstadt Barcelona zurück.

Bereits zu diesem Zeitpunkt fungierte ihr Bruder Carlos als ihr Manager, die große Sängerin war ein Familienmensch, trat von Mitte der Neunzigerjahre an auch gern mit ihrer Tochter zusammen auf, die ebenfalls Monserrat heißt, aber Monsita genannt wird - sie selbst ist die Montse. Verheiratet war Caballé seit 1964 mit dem Tenor Barnabé Marti und in ihrem Landhaus bei Barcelona trug sie stets Sorge dafür, dass jeder genug zu essen bekommt, vor allem Gemüse. Vielleicht ein Erbe aus der Kindheit: Ihre Eltern waren arm, im spanischen Bürgerkrieg litt die Familie Hunger, die kleine Montserrat arbeitete als Näherin - und schaffte es halt doch aufs Konservatorium.

Nach dem internationalen Durchbruch in New York ging es rasend schnell mit ihrer Karriere, innerhalb weniger Jahre sang sie beim Festival in Glyndebourne, an der Met, in Paris, an der Scala, galt bald als eine der brillantesten Belcanto-Sängerinnen der Welt. Und war dabei auch fleißig, dehnte ihr Repertoire aus von Gluck bis Strawinsky, half, vergessene Opern von Bellini, Rossini oder Donizetti wieder auf den Spielplan zu heben. Und entdeckte José Carreras, als der 1971 in Bellinis "Norma" nur eine Nebenrolle sang, die Caballé aber sofort auf sein Talent aufmerksam machte.

Ausgezeichnet hat sie immer eine umwerfende Herzlichkeit und das Fehlen jeglicher Berührungsängste. Sie sang noch, als die Kritiker ihr längst, in den Neunzigern, den Verlust der Legato-Fähigkeit bescheinigten, sie hatte einen späten Riesenerfolg, als sie zusammen mit Freddie Mercury, dem Queen-Sänger, eine Platte aufnahm. Daraus wurde die Nummer "Barcelona" zur Olympiahymne 1992 erkoren. Den Auftritt vor zwei Milliarden Fernsehzuschauern musste sie dann allerdings allein bestreiten, Mercury war ein halbes Jahr zuvor an Aids gestorben.

Im Studium legte ihr eine Gesangslehrerin einmal einen Zehn-Kilo-Stein auf den Unterleib

Es folgten weitere Ausflüge in die Popmusik, da war sie unerschrocken, auch wenn die Klassik-Kritiker den Untergang des Abendlandes witterten. Aber gegen die Caballé kam man nicht an. 2001 kapitulierte sogar eine der letzten eisenharten Macho-Bastionen Spaniens, der "Circulo del Liceo" und nahm sie als erstes weibliches Mitglied in den traditionsbewussten Herrenklub auf.

Dann wurde es still um sie. 2015 tauchte sie noch einmal kurz in den Medien auf, wegen eines Gerichtstermins. Sie hatte vergessen, Steuern zu zahlen, holte dies dann nach, beglich die Schulden und zahlte brav die Strafe - insgesamt rund eine dreiviertel Million Euro.

Als Monserrat Caballé am Liceo studierte, legte ihr eine Gesangslehrerin einmal einen Zehn-Kilo-Stein auf den Unterleib. Sie musste ihn stemmen, mit den Bauchmuskeln, und sie hat es gelernt. Jahrzehnte später unterrichtete sie selbst junge Sänger, gab ihnen Tipps wie ihr selbst einst die Callas, die ihr von mancher ungeeigneter Partie abriet. Meisterklasse Caballé: "Tiefer. Einatmen. Nicht in die Brust. Nicht in den Bauch. Tiefer. Noch tiefer. Luft anhalten. Nicht lachen!" So geht das, Singen ist Hochleistungssport. Gleichwohl sah sie selbst schon früh nicht gerade wie eine Athletin aus. Als sie 1967 Herbert von Karajan als Donna Elvira wollte, wich die Freude schnell der Erkenntnis, dass der Multimedia-Pionier seine "Don Giovanni"-Produktion auch filmen wollte. Die Folge: Caballé hätte in sechs Monaten 15 Kilo abnehmen müssen. Das Projekt scheiterte.

Überhaupt, der Körper. In Paris wurde sie einmal im dritten Akt der "Traviata" ohnmächtig. Der Theaterarzt fragte, ob sie schwanger sei. Dabei hatten ihr damals schon bösartige Zungen den Titel "La Donna immobile" verliehen. Von 1986 an lebte sie mit einem (gutartigen) Gehirntumor ("mein kleiner Freund"), zehn Jahre zuvor wurde ihr ein Unterleibsgeschwür entfernt. Erkrankungen führten immer wieder zu Absagen, und diese zu Tumulten im Publikum. In ihren letzten Jahren konnte sie kaum noch Treppen steigen. Ihren allerletzten Auftritt absolvierte sie dennoch erst am 14. April dieses Jahres, zwei Tage nach ihrem 85. Geburtstag, gemeinsam mit ihrer Tochter in Kiew. Obwohl ihre Stimme nicht mehr die alte war, begeisterte sie das Publikum. Sitzend allerdings, denn nach einem Sturz war sie meistens auf den Rollstuhl angewiesen. Einmal meinte sie dazu: "Ich war als Kind so unterernährt, dass mein Körper offenbar dauerhaft geschädigt wurde." Und doch hielt er so lange Zeit durch. Für jene, die in ihrer Stimme die Vollendung der unwirklichsten Belcanto-Kunst sahen, dennoch natürlich längst nicht lange genug.

© SZ vom 08.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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