Süddeutsche Zeitung

Nachruf:Die Musik des Raumes

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Der Münchner Andreas Meck, der mit nur 59 Jahren starb, war einer der bedeutsamsten Architekten dieses Landes. Für ihn war Bauen eine Frage der Wahrhaftigkeit und Haltung. Seine Gebäude sind wie präzise gestimmte Musikinstrumente.

Von Gerhard Matzig

Wenn man von der Trauer nicht schreiben kann und will, muss man es vielleicht mit dem Trost versuchen. Und wenn man darüber nachdenkt, ob Häuser als Architekturen, die über sich hinausweisen, nicht immer auch Halt geben sollten im Leben, dann ist es schon tröstlich, dass der Münchner Architekt Andreas Meck vor seinem viel zu frühen Tod doch so viele Gebäude geschaffen hat, die Trost schon deshalb spenden, weil sie da sind.

Weil sie etwas haben, was selten ist im Bauen der Gegenwart: eine nicht nur körperlich-räumliche, sondern auch metaphysische, geistige Präsenz, die sich behauptet im Leben. Die Halt gibt. Andreas Meck hat Wände und Stützen, Decken und Böden ersonnen, die viel mehr sind als Traggerüste und Raum. Mehr noch als Licht und Materialität: Seine Häuser sind Haltungen. Und dass sie bleiben, ist kein ganz kleiner Trost.

Man ist nicht überrascht, aber erschüttert vom Tod eines der bekanntesten, aber vor allem auch bedeutsamsten deutschen Architekten, der nur 59 Jahre alt werden durfte, denn er war schon längst gezeichnet von der Krankheit, als man ihn erst vor wenigen Tagen noch traf. Da war er gerade dabei, mit Haltung und großer Würde, mit Ruhe und einer Gelassenheit, die einem unsentimental wie eh und je vorkam, ein Buch zusammenzustellen - mit den wichtigsten Projekten seines Architekturbüros.

Die Vollendung dieses Buches erlebt er nicht mehr, aber wenn er sich die Projekte und Bauten, zumal die Kirchen und Kulturbauten, aber eben auch die Wohngebäude noch einmal vor Augen geführt hat als jener Baumeister, der immer um die Baukunst gerungen hat bis zum letzten Detail, dann wird er, der niemals ganz zufrieden war, vielleicht doch einmal ganz zufrieden gewesen sein. Denn sein Werk ist ein großes Werk, eines, das so sehr stimmt und mit sich im Einklang ist, weshalb das Buch auch zu Recht "Gestimmte Architektur" heißen soll. Das ist ein Titel, der auf fast schon unheimliche Weise richtig ist und stimmt.

Eine Architektur, die stimmt, die also richtig ist in einem funktionalen, konstruktiven und ökonomischen Sinn, hat Andreas Meck stets verantwortet. Seine Bauten sind fehlerfrei. Makellos und bedeutsam darüber hinaus aber werden sie durch eine andere Bedeutung des Wortes "gestimmt": Sie sind, wie präzise gestimmte Musikinstrumente, mit sich im Einklang. Wie die Instrumente in der Musik müssen die Architekturen von Andreas Meck auch eingesetzt, bewohnt, betastet, betrachtet, benutzt und mit Leben gefüllt werden. Diese Stimmigkeit, das Stimmen, das Gestimmtsein und die Musik des räumlichen Erlebens: Das ist es, was die große Baukunst dieses Architekten umschreibt.

Man kann das erleben im Andachtsraum des Dominikuszentrums in München. Das kirchliche Zentrum, es besteht aus einem Andachtsraum, Pfarrheim, Kindergarten und Caritaszentrum, befindet sich in rauer Umgebung im Münchner Norden. Stark befahrene Straßen, ein unwirklich ungeliebter Wohnungsbau, Gewerbebrachen, Restgrün: Es ist kein Ort, der einen versöhnt mit den Städten der Gegenwart. Das Dominikuszentrum, das fast nur aus roten Torfbrandziegeln besteht, fast alle Wände, Decken und Böden sind damit zu einer großen Form gefügt, wirkt in diesem stadträumlichen Tosen wie ein Hafen der Ruhe. Der Gebäudekomplex, um einen Hof herum arrondiert, strahlt etwas Schutzhaftes aus. Die Architektur behauptet sich mit einer Klarheit und Logik, die für sich genommen schon verblüffend ist; wer dann aber in den blau eingefärbten Andachtsraum gelangt, der erschrickt bei aller Schlichtheit des Räumlichen fast über die transzendentale, suggestive Raumkunst, die dieser Logik zugleich innewohnt.

Das Büro Meck Architekten (zuletzt mit Axel Frühauf als geschäftsführender Architekt) hat viele Bauten für die Kirche realisiert. Das ist kein Zufall, denn Andreas Meck war einer der prägendsten Raumschöpfer der Gegenwart. Für das Kirchenzentrum in Poing wurde Meck erst vor wenigen Wochen der wichtigste deutsche Architekturpreis zuerkannt: die "Große Nike", die nur an Raumleistungen vergeben wird, die als vollendet gelten dürfen. Neben seinen markanten Kirchenräumen, die moderne Inszenierungen des Lichts sind, hat sich Meck aber auch um Kulturbauten wie das Ehrenmal der Bundeswehr in Berlin oder das Bibliotheks- und Hörsaalgebäude der Bauhaus-Universität in Weimar verdient gemacht.

Neben den großen Bauaufgaben, den Kirchen und Museen, hat Andreas Meck sich auch dem Wohnen gewidmet. Eigentlich hat er kaum einen Unterschied gemacht zwischen der hehren Feier des Lichts in einer Kirche und der absoluten Richtigkeit eines Fensters, das in einem Wohngebäude eben auch dazu da ist, das Leben zu feiern. Für ihn war das Bauen im kleinen wie im großen Maßstab immer eine Frage von Wahrhaftigkeit und Haltung.

Mies van der Rohe soll einmal gesagt haben, Architektur fange dort an, wo man zwei Ziegelsteine zusammenfügt. Das ist falsch. Architektur fängt dann an, wenn diese Ziegelsteine stimmen und stimmig gefügt sind und wenn sie nicht allein der Architektur, sondern mehr noch dem Leben dienen. Andreas Meck hat der Welt Bauten hinterlassen, die mehr sind als Architektur: gestimmte Architektur.

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SZ vom 22.08.2019
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