Nachruf:Der schiere Klang

FILE PHOTO: Polish composer Krzysztof Penderecki conducts the Israel Philharmonic Orchestra in Tel Aviv

Krzysztof Penderecki 1933 - 2020.

(Foto: Finbarr O'Reilly/Reuters)

Der polnische Komponist Krzysztof Penderecki schuf klassische Musik, die frech und frisch war, leidenschaftlich und betörend - und vor allem sehr populär. Im Alter von 86 Jahren ist er am Sonntag gestorben.

Von Helmut Mauró

Er war die Speerspitze einer eigenwilligen, kühnen Musikrichtung: einerseits in der akademischen, auch in der gemäßigten westlich-avantgardistischen Moderne verwurzelt. Andererseits von frischer, frecher Popularität, wie man sie vielleicht nur östlich der Oder als zeitgenössische Ernste Musik so unbefangen praktizieren konnte. Krzysztof Penderecki, 1933 in der Nähe von Krakau geboren, wurde mit seinen Kompositionen nicht nur in seiner polnischen Heimat bekannt, sondern feierte auch zunehmend im Westen Erfolge. In den USA zumal, auch in Deutschland, wo man gleichzeitig die Nase rümpfte über so viel Freude am schieren Klang, an der großen Besetzung, an sentimentalischen Chormassen. Für den Komponisten Helmut Lachenmann war Penderecki - in Anspielung auf den populären Marsch - "Penderadetzky, der die tonalen Paarhufer anführe". Auf Penderecki folgten mit Arvo Pärt und Henryk Gorecki weitere Erfolgskomponisten, die der seriellen Avantgarde den historischen Führungsanspruch streitig zu machen schienen.

Aber Penderecki war vor allem eines: ein Komponist der Leidenschaft, des Lebendigen, auch des Genusses. Die Proben zu seinem überdimensionierten "Credo" endeten oft am großen Esstisch. Das war 1996, und Krakau bereitete sich auf seine Rolle als Kulturhauptstadt Europas 2000 vor, indem die Fassaden rund um den Markt frisch gestrichen wurden. In den Nebenstraßen lag noch das Grau der Vor-Solidarnosc-Zeit. Vor dem Hintergrund dieser Tristesse verstand man die neu erwachende Lebenslust, ja Lebensgier, die sich auch musikalisch Bahn brach. In Krakau konnte man damals kaum irgendwo Essen gehen, ohne dass eine viel zu laute Jazzcombo das Geschehen begleitete.

Musik mit religiösen Bezügen - dieser Künstler zielte auf das Herz

Penderecki lebte den gleichen Impuls, gepaart mit einem für das damalige Polen fast zwingenden Verbindung zu Religion und Kirche. Seine großen Chorwerke sind fast durchweg Kirchenmusik. Und wenn man sich seine Partituren ansieht, wie er da mit bunten Filzstiften einzelne Stimmen hervorhebt und darauf achtet, dass jede Note zu ihrem Recht kommt, dann sieht man auch ein bisschen den kindlichen Ursprung dieser Musik, den sich Penderecki immer behalten hat.

Er hat nie den Weg über das akademische Verständnis gesucht, sondern auf das Herz oder wenigstens den Bauch gezielt: mit einer bei aller ihr zugrunde liegenden Komplexität und Handwerkskunst meist unproblematisch klingenden, harmonisch vertrauten Musik, sehr oft mit religiösen Bezügen. Seine Chaconne "In memoriam Giovanni Paolo II" schrieb er 2005 als persönliche Trauermusik zum Tod des polnischen Papstes Johannes Paul II. Das kurze Stück für Streichorchester integrierte er später in sein "Polnisches Requiem", an dem er bereits seit 1980 arbeitete. Dieses gewaltige und ambitionierte Werk ist eine Hommage an die Gefallenen des Streiks in den Danziger Werften. Es sollte aber keine politisch motivierte Musik sein, sondern, wie er sagte, "an historische Umbrüche in Polen erinnern. Die Musik selbst übersteigt dabei den ursprünglichen Anlass und erlangt universelle Geltung."

Manchmal, etwa in der zweiten Violinsonate von 2010, merkt man, dass Penderecki selber einmal Geiger war. Diese Sonate wie schon das Zweite Violinkonzert, die "Metamorphosen" und das Duo Concertante widmete er Anne-Sophie Mutter. In seinen frühen Werken bevorzugt er durchweg Streichinstrumente. Auch seine berühmten Landsleute Witold Lutoslawski, Kazimierz Serocki und Henryk Gorecki hatten eine Vorliebe für Streicher. Allerdings standen deren Stücke weit tiefer in der Tradition, selbst dann, wenn sie sich auf der Grundlage der Zwölftonmusik bewegten. Penderecki scherte da aus und vertraute der eigenen Kreativität, die ihn zu neuen, fremden Klängen führte. Dazu erfand er neue Spieltechniken, die schmerzhafte Geräusche, aber ebenso betörende Lyrismen hervorbringen konnten. Damals entwickelte Penderecki wesentliche kompositorische Merkmale, insbesondere seine breite Skala an Klängen und Klangfarben, die ihn besonders auszeichnen und so erfolgreich machten. Ob mit ernster Kirchenmusik, Oratorien, Kammermusik, Symphonien, Opern oder mit einem Stück für Tonband für die Olympischen Spiele 1972 in München. Pendereckis Werk ist schier unüberschaubar, ebenso die Anzahl der Ehrungen. Vielleicht war es für ihn aber die größere Auszeichnung, dass seine Musik in mehreren Filmen eingesetzt wurde, etwa in "Der Exorzist" und "Shining". Am Sonntag ist Krzysztof Penderecki mit 86 Jahren in Krakau gestorben.

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