Nachruf:Der Machtkundige

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Hans-Peter Schwarz, 1934 - 2017.

(Foto: Konrad-Adenauer-Stiftung)

Von Bonn aus hat der Adenauer-Forscher Hans-Peter Schwarz mit seinen Thesen die Zeitgeschichte und die Politologie geprägt. Im Alter von 83 Jahren ist er gestorben.

Von Stefan Kornelius

Von Konrad Adenauer ist die hübsche Anekdote überliefert, wie er 1945, kurz nach seiner Absetzung als Kölner Oberbürgermeister durch die Besatzungstruppen, einem jungen britischen Liaison-Offizier die Hintergründe des Vorgangs schilderte und ihn dabei mit Blick auf seine wahren Ambitionen um den Finger wickelte: "Sehen se, ich bin 'ne alte Mann, ich habe ja keine politische Ehrjeiz mehr..." Adenauer war da 69, und wie es um seinen Ehrgeiz tatsächlich bestellt war, sollte das Land noch erleben können.

Die professionelle Untertreibung war ganz nach dem Geschmack des wohl kundigsten Adenauerianers, der wie das Objekt seines wissenschaftlichen Interesses den augenzwinkernden Schalk ebenso beherrschte wie den klaren Schlag mit der Handkante. Dem Zeithistoriker Hans-Peter Schwarz war Altersmilde ebenso fremd wie angepasste Demut. Die Ironie beherrschte er, auch den beißenden Spott. Aber mehr als alles andere war er ein prinzipientreuer Scharfdenker, ein klarsichtiger Analytiker, der seine Weltsicht aus ein paar unumstößlichen Erkenntnissen der Geschichte ableitete.

Zu diesen Unumstößlichkeiten gehörte für Schwarz die Kraft des Nationalstaates und das ewige Ringen der Völker um Macht und Vorherrschaft. Er beklagte das nicht, er schrieb sich keine ideale Welt herbei, sondern ordnete die Verhältnisse so ein, wie er sie vorfand.

Als Chronist der Bundesrepublik und Doyen der Bonner Geschichtsschreibung erregte er Aufsehen mit seiner bei Theodor Eschenburg abgelegten Habilitation über die Staatsgründungsphase 1945 bis 1949. "Vom Reich zur Bundesrepublik" zeichnete ein Lebensmotiv vor, das Schwarz als Professor für Politische Wissenschaften in Hamburg, Köln und Bonn leitete: die außenpolitische Bindung der Nation und all die daraus abgeleiteten Fragen von Stabilität, Sicherheit und Frieden.

Natürlich machte Schwarz nie einen Hehl aus seiner Grundhaltung. Seine Promotion über den "konservativen Anarchisten" Ernst Jünger zeigt die frühe Verortung des 1934 im südbadischen Lörrach geborenen Lehrersohnes. Aber Schwarz war nie ein Anti-Modernist, ein Reaktionär gar, wie ihm einige Kritiker nachsagten. Im Gegenteil: Eher trieb ihn die Sorge um Stabilität, um die Wankelmüdigkeit der Bundesrepublik. Nach der Vereinigung war er einer der ersten, der die politische Wirkkraft Deutschlands als "Zentalmacht Europas" vorhersah. Sein Lamento über die "Machtvergessenheit" der Deutschen datiert noch in den 1980er Jahren, es sollte Mahnung sein, die in der alten Bundesrepublik unterbelichtete Wirkung des Landes auf Nachbarn und Verbündete nicht zu unterschätzen. Richard von Weizsäcker hat den Begriff später aufgenommen.

Schwarz' Hauptwerk aber galt dem ersten Bundeskanzler. In zwei monumentalen Bänden erschloss er das Leben Konrad Adenauers und zeigte dabei seine Meisterlichkeit im Umgang mit schier unendlichem Quellenmaterial. Später folgte eine umfassende Monografie über Helmut Kohl und den Verleger Axel Springer. Überhaupt zeichnete sich Schwarz dadurch aus, dass er anders als viele Zeithistoriker die politische Biografie und die Beschreibung der Akteure in den Mittelpunkt seiner Arbeit stellte.

1987 folgte Schwarz dem Politikwissenschaftler Karl Dietrich Bracher auf den Bonner Lehrstuhl - keine unumstrittene Berufung. Bracher, der Pionier der realistischen, analytischen Zeitgeschichte, repräsentierte den liberaleren Denkflügel der Bonner Republik, Schwarz verschob den Maßstab weiter nach rechts. Im Institut sorgte der Atlantiker und Sozialdemokrat Karl Kaiser für die politische Balance. Schwarz und Kaiser dominierten die Forschungs- und Publikationslandschaft, das Duo steht für die Blütezeit des Realismus in der Politikwissenschaft - eine Forschungsrichtung, die erst in den letzten Jahren wieder an Gewicht gewinnt.

Schwarz zog nach seiner Emeritierung weg von Bonn und in die Nähe von München - die Verlagerung des politischen Apparats nach Berlin hatte er aktiv bekämpft, seine Republik war die Bonner. In der alten Bundeshauptstadt war Schwarz fester Bestandteil des politischen Inventars, sein Haus ein Salon der Mächtigen. Der Blick aus der Distanz schärfte nun noch einmal Geist und Argument. Sein letztes Werk, eine Philippika über die Flüchtlingspolitik und das grenzenlose Europa, geriet freilich zu sehr zum Donnerschlag, Schwarz schien angesteckt zu sein von der CSU-Hysterie vor seiner Haustür.

Am Mittwochabend ist Hans-Peter Schwarz 83-jährig in der Nähe von München gestorben. Nur wenige Monate vor ihm gingen Karl Dietrich Bracher und der dritte der Bonner Schule, Hans-Adolf Jacobsen. Schwarz' Lebenserinnerungen werden nicht lange auf sich warten las-sen.

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