Süddeutsche Zeitung

Nachruf:Der gerechte Ton

Der Toningenieur Jan Erik Kongshaug ist tot. Sein Name ist nicht nur mit Hunderten von Alben verbunden, die er für das Jazz-Label ECM aufnahm, sondern auch mit einem Sound, der längst einen eigenen Namen hat: der "nordischen Klang".

Von Thomas Steinfeld

Ein Toningenieur ist ein Mensch, der hinter einem Mischpult sitzt. Vor ihm befindet sich ein Gerät mit Hunderten Reglern, mit denen sich die Lautstärke und, in gewissen Grenzen, auch der Klang einer Stimme oder eines Instruments regulieren lässt. Es ist der Toningenieur, der die Mikrofone auswählt und platziert, der mithilfe des Halls (es gibt Dutzende Möglichkeiten, einen Hall zu produzieren) eine Illusion von Räumlichkeit schafft. Er ist es, der das Klavier stimmen lässt und die Saal-Akustik bedenkt. Er ist es, der, nach Anweisung des Produzenten oder der Musiker, für einen bestimmten Klang sorgt. Deshalb werden Toningenieure selten berühmt. Eine Ausnahme war der norwegische Toningenieur Jan Erik Kongshaug. Sein Name - und der seines bekanntesten Aufnahmeorts: der Rainbow Studios in Oslo - ist nicht nur mit Hunderten Alben verbunden, die er für den Münchner Produzenten Manfred Eicher und dessen Label ECM aufnahm, sondern auch mit einem spezifisch "nordischen" Klang.

Man konnte Jan Erik Kongshaug darauf ansprechen, wie dieser Klang entstand, und er gab gern Auskunft, zu seinem Steinway-D-Flügel und dessen Stimmtechniker, zu Röhrenmikrofonen und Kompression. Den Klang erklären oder auf Prinzipien (wie einen spezifischen Hall) zurückführen, konnte er nicht. Dabei ist der Klang gegenwärtig, seitdem er mit Manfred Eicher im September 1970 das Album "Afric Pepperbird" mit Jan Garbarek, Terje Rypdal, Arild Andersen und Jon Christensen aufnahm, und bis hin zu den spätesten Einspielungen, die etwa der norwegischen Sängerin Kari Bremnes galten. Wenn dieser Klang nun nicht auf Geräte oder Techniken zurückzuführen ist, dann liegt das daran, dass er selbst musikalisch ist und sich allenfalls von einer Idee leiten lässt, die man Werkgerechtigkeit nennen muss: in dem Sinne, dass ein Kontrabass klingt, wie ein Kontrabass eben zu klingen hat, rund, tief und bauchig, hauptsächlich nach Holz und ein wenig nach Draht, oder dass im Klang eines Beckens immer auch ein wenig Glocke zu hören ist.

Im Norden Europas war nach dem Zweiten Weltkrieg eine eigene Tradition des Umgangs mit dem Jazz entstanden, der viel zu tun hatte mit einem Bewusstsein von Modernität und Weltoffenheit, aber auch mit einer Bindung an die eigene Volksmusik wie an eine intensive Erfahrung mit Kammermusik. Jan Erik Kongshaug stand in dieser Tradition, zuerst als Gitarrist, bald als Mann hinter dem Mischpult. Als er, was wohl eher zufällig war, Manfred Eicher in die Arme lief, erweiterte sich der Norden zu einem musikalischen Großraum, in dem sich so unterschiedliche Gestalten bewegen konnten wie der Gitarrist Pat Metheny, der Pianist Keith Jarrett oder der estnische Komponist Arvo Pärt. In diesem Raum befinden sich längst auch etliche Nachahmer oder Schüler dieses Toningenieurs, was in diesem Fall nichts als ein Kompliment ist. Am vergangenen Dienstag ist Jan Erik Kongshaug im Alter von 75 Jahren in Oslo gestorben.

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SZ vom 08.11.2019
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