Nachruf:Der friedliche Attentäter

How To Improve The World: British Art 1946-2006 - Private View; How To Improve The World: British Art 1946-2006 - Private View

Gustav Metzger, Künstler und Partisan gegen den Kunstmarkt.

(Foto: Getty Images)

Gustav Metzger, der Aktivist der "Auto-Destruktiven Kunst", ist tot. Pete Townsend zufolge war er es, der "The Who" dazu inspirierte, Gitarren zu zerschlagen

Von Catrin Lorch

Das Porträt zeigt ein aufmerksames, freundliches Gesicht. Der Mann mit dem weißen Bart hat einen wachen Blick und einen weißen Bart und ist unverkennbar sehr alt. Es ist Gustav Metzger, Künstler, Aktivist, Holocaust-Überlebender, einer der bedeutendsten Künstler, die im zwanzigsten Jahrhundert in Deutschland geboren wurden. Und es ist erstaunlich, dass sich das kleine Bild so nahtlos in die gerade eröffnete Ausstellung von Wolfgang Tillmans in der Londoner Tate Modern fügt, zwischen all die anderen Aufnahmen von Musikern, Modeleuten, schwuler Subkultur, Models. Doch Gustav Metzger taugt in genau diesem Umfeld durchaus zur Celebrity, auch wenn die Kunstgeschichte ihn für viele Jahre vergessen zu haben schien.

Gustav Metzger, geboren 1926 in Nürnberg als jüngster Sohn einer jüdisch-orthodoxen Familie, war Außenseiter, zeitlebens. Staatenlos, seit er 1939 mit seinem Bruder Max in einen Zug der Kindertransporte gesetzt wurde und so Vernichtung und Krieg in London überlebte. Metzger wollte Komponist werden, doch hatte er als Flüchtlingskind kein Instrument erlernt. So studierte er Kunst, der Maler David Bomberg war für ihn prägend, und zog in eine Künstlerkommune im ostenglischen Küstenort King's Lynn. "Aber es geht ja nicht darum, ein zufriedener und erfolgreicher Maler zu sein", sagte er 2014 im Interview mit der SZ, "sondern um die Pflicht, Teil der modernen Welt zu sein."

Die Rückkehr nach London ist ein Bruch in seiner künstlerischen Laufbahn. Metzger wird Aktivist, Mitbegründer des Committee of 100 und demonstriert gegen nukleare Waffen. Als Künstler nagelt er statt Gemälden leere Pappkartons an die Wand einer Galerie und veröffentlicht 1959 sein erstes "Manifest der autodestruktiven Kunst", in dem er fordert, Kunst solle aus verrottenden Material bestehen, in der Erinnerung leben: "Raum ist knapp in einer Stadt." Einer seiner bekanntesten Aktionen war sein Säure-Attentat auf Keilrahmen, die er mit zarter Kunstfaser überzogen hatte. Zurück blieben die verschmolzenen Fetzen des Materials.

Gustav Metzgers gewalttätige Kunst schloss an Fluxus und Aktionskunst an, sein "Destruction in Art Symposium" (DIAS) gilt als eines der größten Künstlertreffen des 20. Jahrhunderts, zu dem auch Yoko Ono und John Lennon aus New York anreisten. Pete Townsend zufolge, der bei ihm studiert hatte, war es Metzger, der The Who dazu inspirierte, Gitarren zu zerschlagen. Nach einem Vortrag Metzgers an einer Architekturschule zerlegten die Studenten in aller Akribie das Mobiliar. Zur Documenta im Jahr 1972 wurde er eingeladen und war Gast auf internationalen Konferenzen und Kongressen.

Doch fehlte es zum Museumsruhm an Produktion. Er sei damals zwar willens und bereit gewesen, große Projekte zu verwirklichen, erinnerte sich Gustav Metzger einmal, doch fand sich niemand, der sie umsetzen wollte. Auch dass Gustav Metzger im Jahr 1977 als einer der ersten Künstler überhaupt zum "Art Strike" aufrief, um gegen ein autoritäres, auf Markt und Museen fixiertes Betriebssystem der Kunst zu protestieren, half dem Werk nicht. Erst mit jahrzehntelanger Verspätung wurden seine Entwürfe ausgeführt: In Schardscha parkte man Hunderte Autos so, dass ihre Abgase ein durchsichtiges Zelt aufbliesen. In München teerte Metzger die Stufen zum Haus der Kunst schwarz ("Judenpech", und derzeit ist in der Tate Modern die Installation "Liquid Crystal" zu sehen, ein Raum aus Projektionen, die zeigen, wie sich Flüssigkristalle in der Wärme der Lichtquelle verändern.

"Ich habe Glück, dass ich das noch erlebe", sagte Gustav Metzger über die späte Wiederentdeckung seines Œuvres und vor allem die späte Verwirklichung vieler Projekte. Der internationale Ruhm hat ihn dabei wenig interessiert, wohl aber die Kooperation mit einer jungen Generation von Künstlern in den vergangenen Jahren. Der kleine Mann, der keine Familie hatte und jahrzehntelang mit einem Rollwägelchen auf Vernissagen und politischen Vorträgen aufgetaucht war, blieb dennoch ein Unbehauster, ein Mensch, der auf seinem Daseinszustand als Flüchtling insistierte. Das provoziert, heute mehr denn je. Vor zwei Jahren fragten Leserbriefschreiber nach der Ausstellung "British Sculpture" in der Royal Academy in London, warum man unter dieser Überschrift jemanden, der gar nicht in England geboren sei, eingeladen habe, Zeitungsseiten an die Wand zu hängen. Die Kunstgeschichte kann das erklären.

Am Mittwoch ist Gustav Metzger im Alter von 90 Jahren in London gestorben. Das Werk dieses Aktivisten und Ausnahmekünstlers wird eine Herausforderung bleiben, für die Museen, die Theorie, die Szene, das Publikum. So, wie auch der Mensch Gustav Metzger, dieser liebenswerte, höfliche Mann. Ungebeugt wie kein anderer.

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