Nachruf:Der Einzige

Nachruf Bernhard Böschenstein

Bernhard Böschenstein, von 1964 bis zu seiner Emeritierung 1998 Professor an der Universität Genf.

(Foto: privat)

Er war einer der letzten, der seinem Gegenstand mit intellektuellem und poetischem Interesse begegnete: Der Genfer Germanist Bernhard Böschenstein ist gestorben.

Von Thomas Steinfeld

Der vorletzte Satz in Friedrich Hölderlins Gedicht "Der Einzige" lautet: "Schön / Und lieblich ist es zu vergleichen". Dem Genfer Germanisten Bernhard Böschenstein muss dieser Satz Devise nicht nur seiner Arbeit, sondern seines Lebens gewesen sein. Zum einen, weil er fast sein gesamtes wissenschaftliches Werk dem Aufspüren von literarischen Bezügen widmete, von Wirkungen, Abhängigkeiten und Inspirationen vor allem innerhalb der deutschen (aber auch der französischen) Lyrik; zum anderen, weil, ausgedrückt im Wort "schön", der Analytiker und Interpret der Dichtung auch in sie einrückte, als deren Stimme und Sachwalter.

Und so wird man sich an Bernhard Böschenstein vor allem als Autor der "Konkordanz zu Hölderlins Gedichten" (1964) erinnern, sowie an seine Arbeiten zu "Filiationen" der Dichtkunst, die von Pindar über Hölderlin bis zu Stefan George oder Paul Celan reichen - und an einen Gelehrten, der immer auch Stimme der Dichtung war, in seinen öffentlichen Auftritten, aber auch in seinen Freund- und Bekanntschaften mit Peter Szondi, Friedrich Dürrenmatt oder Theodor W. Adorno.

Eine solche, nicht nur von intellektueller, sondern auch von poetischer Leidenschaft erfüllte Bindung der Literaturwissenschaft an ihren Gegenstand ist der Germanistik nicht erst seit gestern fern. Sie verschwand, bis auf wenige Ausnahmen, in der Methodologisierung des Faches. In Bernhard Böschenstein, der bei Emil Staiger in Zürich promoviert hatte und bei Walther Killy in Göttingen Assistent gewesen war, blieb diese Haltung gewahrt. Das ließ ihn in seinen späten Jahren zu einem vielbewunderten Repräsentanten lebendiger Fachgeschichte werden, etwa, wenn er sich mit Ulrich Raulff, dem ehemaligen Leiter des Deutschen Literaturarchivs in Marbach und dem Germanisten Gerhard Kurz über die Bedeutung Hölderlins für den George-Kreis unterhielt.

Wer wie Böschenstein die innere Affinität zwischen der Philologie und ihren Gegenständen kultivierte, konnte nicht zum Repräsentanten des Faches in seiner ganzen Breite werden. Ihn hat diese Beschränkung nie gestört, im Gegenteil, er nahm das Aristokratische dieser Haltung wahr. Am vergangenen Freitag ist Bernhard Böschenstein im Alter von 87 Jahren in Chêne-Bougeries bei Genf gestorben.

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