Süddeutsche Zeitung

Nachruf:Das Theatertier

Im Jahre 1955 wurde der 24-jährige Peter Hall mit seiner Inszenierung von Samuel Becketts "Warten auf Godot" bekannt. Danach leitete er die großen Bühnen Englands. Jetzt ist Peter Hall im Alter von 86 Jahren gestorben.

Von Alexander Menden

Vor fünf Jahren sagte bei der Premiere einer "Onkel Wanja"-Produktion im Londoner West End jemand im Publikum während der gesamten Aufführung Sachen wie: "Das funktioniert nicht!" und "Wie im Fernsehen!" Man hätte den Darstellern verziehen, wären sie aus der Rolle gefallen und hätten dem Betreffenden gesagt, er solle seine Meinung für sich behalten. Es handelte sich aber um Peter Hall, und alle im Raum wussten, dass er nicht einfach dazwischenrief, sondern Regie führte. Das war eben seine Berufung.

Mehr als ein halbes Jahrhundert lang hat Peter Hall das britische Nachkriegstheater mitgeprägt. Im Jahre 1955 wurde dem damals erst 24 Jahre alten Regisseur ein Stück namens "Warten auf Godot" zugeschickt - er fand, es sei eine "wunderbare Sommerproduktion", und verschaffte Samuel Becketts Werk seine englische Uraufführung am Arts Theatre. Es sollte der dramatische Durchbruch für den aus Suffolk stammenden Sohn eines Stationsvorstehers werden.

Ein Jahr später wechselte er ans Shakespeare Memorial Theatre in Stratford-upon-Avon; 1960 noch vor seinem 30. Geburtstag, gehörte er zu den Mitbegründern der Royal Shakespeare Company. Ein Jahrzehnt lang blieb er deren Direktor, 1973 wurde er künstlerischer Leiter der anderen großen englischen Theaterinstitution, des National Theatre, dessen Umzug aus dem Old Vic in sein neues Heim an der Themse sich unter seiner Ägide vollzog.

Hall war ein Theatertier, besessen von Sprache - besonders dem Blankvers Shakespeares - und durchaus Willens, auch den eigenen interpretativen Ansatz in Frage zu stellen. Sein erster "Godot" etwa sei zu "überladen" gewesen, sagte er 2010. Er habe gelernt, Stücke immer mehr aufs Wesentliche zu reduzieren. Nicht zuletzt deshalb galt seine Uraufführung von Harold Pinters "Homecoming" lange als die definitive Version, während sein "Hamlet" mit David Warner in der Titelrolle den Dänenprinzen für die Achtundsechziger-Generation neu entdeckte. Peter Shaffers "Amadeus" wurde 1979 auch dank seiner Regie zu einem Welterfolg.

Peter Hall hörte nie auf zu arbeiten - noch 2003 gründete er in Kingston-upon-Thames das Rose Theatre, dessen neue Heimstatt 2008 eröffnet wurde. "Wir alle stehen auf den Schultern von Riesen", sagte Rufus Norris, Chef des National Theatre. "Peter Halls Schultern trugen das gesamte britische Theater." An Montag ist Sir Peter Hall im Alter von 86 Jahren in London gestorben.

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SZ vom 13.09.2017
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