Nachruf: Christopher Tolkien:Sohnes Dienste

Christopher Tolkien

Christopher Tolkien lebte und arbeitete mit seiner Frau Baillie Tolkien auf einem Anwesen in der Nähe der französischen Alpen.

(Foto: François Deladerrière/The Tolkien Estate Ltd)

Alles für das Werk seines Vaters: Wie Christopher Tolkien das Leben und Nachleben des Hobbit-Erfinders prägte.

Von Nicolas Freund

Man kann die Geschichte des Sohnes nicht ohne die des Vaters erzählen. Christopher Tolkien wurde 1924 in Leeds als das dritte Kind J.R.R. Tolkiens geboren und wie viele Kinder berühmter Eltern stellte ihn dieses Erbe bald vor die Frage, ob er sich dem überwältigenden Einfluss des Vaters ergeben oder versuchen sollte, dagegen anzukämpfen. Vielleicht, weil letzteres oft nicht gut ausgeht, entschied sich Christopher Tolkien für die erste Variante und verfolgte diese Entscheidung mit einer Akribie und Hartnäckigkeit, die an Selbstaufgabe grenzte.

Er wurde nach dem Tod Tolkiens im Jahr 1973 der Herausgeber dessen unveröffentlichter Werke: 70 Kisten mit Skizzen, Notizen und Entwürfen, manches davon nicht mehr als eine auf einem Briefumschlag notierte Idee, anderes praktisch fertige Vers-Epen und Romane in verschiedenen Stadien der Überarbeitung. Mehr als 20 Bände destillierte Christopher Tolkien seit den Siebzigerjahren aus diesem Nachlass, das meiste davon Hintergrundgeschichten zu den zwei großen, zu Lebzeiten des Vaters veröffentlichten Werken, "Der Hobbit" und "Der Herr der Ringe", die nicht nur ein Genre begründeten, sondern derart unfassbare Weltbestseller wurden, dass jede zusätzliche Idee ihres Schöpfers unerwartete Relevanz zu bekommen schien. Auch literaturwissenschaftliche Essays und eine Übersetzung des altenglischen Epos "Beowulf" mit dazugehörigem Kommentar fanden sich in den Unterlagen und erlangten im Kontext der fantastischen Werke, besonders in der englischsprachigen Welt, noch Jahrzehnte nach ihrem Entstehen eine Aufmerksamkeit, die ihnen sonst wahrscheinlich nie zuteilgeworden wäre.

Im Vorwort zu einem der letzten von ihm herausgegeben Bücher schrieb Christopher Tolkien über die Geschichte von Beren und Lúthien: "Sie reicht in meinem Leben weit zurück, denn es ist meine erste wirkliche Erinnerung an etwas, das mir erzählt wurde". Und in einem Interview mit der französischen Zeitung Le Monde sagte er einmal, dass er in der Welt aufgewachsen sei, die sein Vater erschaffen habe.

Gegen das popkulturelle Bild des Vaters kam er nicht an - und versuchte es gar nicht erst

Man meint, er habe sie nie ganz verlassen, denn er war das Kind Tolkiens gewesen, das am engsten in die Entstehung der Werke des Vaters involviert war. Noch Jahrzehnte später betonte er, dass die Karten der fiktiven Welt Mittelerde, die jeder Ausgabe von "Der Herr der Ringe" beiliegen, aus seiner Feder stammten. Als er im Zweiten Weltkrieg als Pilot in Südafrika stationiert war, schickte ihm der Vater dorthin Kapitel zum Korrekturlesen. Wie Tolkien senior studierte Christopher in Oxford englische Literatur und unterrichtete dann an derselben Universität. Eigentlich eine bequeme und angesehene Position, die er aber Anfang der Siebziger aufgab, um sich ganz der Herausgeberschaft zu widmen.

Eine Entscheidung, die er vielleicht auch traf, um die Deutungshoheit über die vom Vater erschaffene Welt seiner Kindheit nicht zu verlieren. Denn die Bücher waren damals längst Bestseller und eine Art Grundlagentext der US-amerikanischen Hippiebewegung geworden. Kurze Zeit bekamen sie eine politische Bedeutung. Die Filmrechte waren schon 1969 verkauft worden und im 21. Jahrhundert sollte es darum einen langen Streit zwischen der Familie Tolkien und den Rechteinhabern geben. Denn Christopher Tolkien hielt nicht viel von den Verfilmungen der Werke seines Vaters durch den Regisseur Peter Jackson.

Vielleicht versuchte Christopher Tolkien auch gar nicht erst, aus dem Schatten des Vaters herauszutreten, weil er wusste, dass er gegen das popkulturelle Bild J.R.R. Tolkiens nicht ankommen konnte. Dabei stünde ihm als Herausgeber nicht nur des eigenen Vaters, sondern eines der beliebtesten Autoren des 20. Jahrhunderts durchaus mehr Anerkennung zu. Dass manches in den von ihm veröffentlichten Bänden, wie zum Beispiel in dem 1977 erschienen "Silmarillion", von ihm stammte, leugnete er nie, hadert aber, wie er selbst sagte, mit den eigenen Ergänzungen. Sie passen natürlich auch nicht zu der Idee des Sohnes, der sich am liebsten für immer vom Vater Geschichten erzählen lassen will.

Am vergangenen Mittwoch ist Christopher Tolkien im Alter von 95 Jahren in Südfrankreich gestorben.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: