Nachruf auf Ballettstar Ray Barra, 95Der erste Romeo

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1963 in Stuttgart: Mit Marcia Haydée tanzte Ray Barra auch in Tschaikowskys „Nussknacker“.
1963 in Stuttgart: Mit Marcia Haydée tanzte Ray Barra auch in Tschaikowskys „Nussknacker“. (Foto: Felicitas / INTERFOTO)

Im Alter von 95 Jahren ist der Tänzer und Choreograf Ray Barra gestorben. Er war ein Resilienzwunder.

Von Dorion Weickmann

Es tut einen Wahnsinnsknall. Dann wird die Probe abgebrochen. Zurück bleiben schockierte Tänzer und ein am Boden liegender Kollege, der vor Schmerz fast bewusstlos wird. So endete 1966 die Karriere von Raymond Martin Barallobre Ramirez, dessen Namen aus PR-technischen Gründen zu Ray Barra verkürzt wurde: mit einem Riss der Achillessehne, die den Ersten Solisten des Stuttgarter Balletts für immer von der Bühne verbannte. Da war er gerade mal sechsunddreißig Jahre alt und hatte mit seinem Chef, dem Choreografen John Cranko, Jahrhundertrollen aus der Taufe gehoben: den Romeo in der heute legendären Stuttgarter Shakespeare-Adaption, die Titelrolle in „Onegin“, den Prinzen im „Schwanensee“. Voller Dankbarkeit erklärte der Ex-Ballerino Jahrzehnte später: „Stuttgart und Cranko waren das Beste, was mir in meiner Tanzkarriere passieren konnte.“

Sie wurde dem Amerikaner nicht in die Wiege gelegt. 1930 in San Francisco als Sohn spanischer Eltern geboren, zog ihn das Kino in seinen Bann. Musicals mit Gene Kelly und Fred Astaire brachten den Jungen zum Steppunterricht, gefolgt von einer klassischen Tanzausbildung samt Abstecher nach New York. 1951 zog der Kalifornier in den Koreakrieg, wurde in Japan stationiert. Was ihm erlaubte, seine Entertainer-Qualitäten auszubauen. Sie fielen so überzeugend aus, dass ihn nach Kriegsende das American Ballet Theatre unter Vertrag nahm.

Die Ballerinen brachte er zum Leuchten

Barra etablierte sich als Solist, doch schon bald lockte die europäische Kulturlandschaft. 1959 heuerte er in Stuttgart an, bei Nicholas Beriozoff, der ihm das klassische Repertoire anvertraute, bis er zwei Jahre später selbst gegen John Cranko ausgetauscht wurde. Der neue Ballettdirektor beförderte die schwäbische Provinztruppe an die internationale Spitze, nicht zuletzt dank Ray Barra, der Ballerinen wie Marcia Haydée und Birgit Keil zum Leuchten brachte. Unterdessen beseelte sein gestalterisches Temperament auch Werke des Gastchoreografen Kenneth MacMillan, allen voran „Las Hermanas“ und „Das Lied von der Erde“.

MacMillan war es, der Ray Barra nach dem erzwungenen Bühnenabschied einen Rettungsschirm aufspannte: Er holte ihn als Ballettmeister nach Berlin. Von dort aus wechselte der Resilienz-Künstler nach Hamburg, danach auf einen Chefsessel: als Ballettdirektor in Madrid. Wobei er zusehends auch choreografische Ambitionen pflegte und schließlich in dieser Mission von Konstanze Vernon, Première dame des gerade gegründeten Bayerischen Staatsballetts, nach München geholt wurde. Bis 2001 erarbeitete er drei umjubelte Klassiker am Nationaltheater: Auf „Don Quijote“ folgte „Schwanensee“ und schließlich „Raymonda“. Der Zugriff des Amerikaners sprengte zwar nicht den Traditionsrahmen, aber er vitalisierte die Tanzsprache mit zeitgemäßer Energie. Was nicht nur in München, sondern auch in Athen, Wien oder Karlsruhe gut ankam.

Ab 1994 übernahm Ray Barra drei Jahre lang die Leitung des Balletts der Deutschen Oper in Berlin, bevor er sich mit seinem Lebensgefährten in Marbella niederließ. An der spanischen Mittelmeerküste ist der Tänzer am 26. März im Alter von 95 Jahren gestorben. Ein Platz im Pantheon des Balletts ist John Crankos erstem „Romeo“ so sicher wie die liebevolle Erinnerung in den Herzen seiner Kollegen.

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