Süddeutsche Zeitung

Nachruf auf Volksbühnen-Künstler:Schwer erziehbar

Lesezeit: 1 min

Bei ihm paarte sich Grazie mit Anarchie und Angriffslust. Zum Tod des atemberaubenden Faßbinder-Schauspielers Volker Spengler.

Von Peter Laudenbach

Der Theaterregisseur Fritz Kortner sagte während einer Probe zum jungen Volker Spengler einen Satz, der das anarchische Talent dieses Ausnahmeschauspielers präzise zusammenfasst: "Spengler, Sie sind der Untergang des Abendlandes."

Sein Schauspielerleben lang gab sich der große, eigensinnige Volker Spengler, ein wuchtiger Mann mit der richtigen Mischung aus Grazie, Empfindsamkeit und Angriffsfreude, keine Mühe, diesen Verzweiflungsseufzer, dieses Kompliment Kortners zu widerlegen. Er begab sich in die extremeren Regionen, auch gerne in die auf extreme Weise lustigen. Für ordentliche Schauspielerdienstleistung war er eher nicht zuständig. Seit seinen Anfängen bei Fritz Kortner, der ihn entdeckt und 1968 ans Berliner Schiller-Theater geholt hatte, arbeitete er am liebsten mit den radikalen Künstlern zusammen, weil er selber einer war: Der Brecht-Schüler Peter Paltizsch und der Anarchist Rainer Werner Fassbinder, der Chor-Ekstatiker Einar Schleef und der Formalist Hans Neuenfels, Heiner Müller, Christoph Schlingensief und René Pollesch waren seine wichtigsten Regisseure. Spengler, ein Schauspieler, der nach eigenen Regeln spielte und jeden zu engen Rahmen sofort sprengte, dürfte sie mindestens so stark beeinflusst haben, wie sie ihn.

In einem der düstersten, persönlichsten Filme Fassbinders, "In einem Jahr mit 13 Monden", mit dem der Regisseur auf den Suizid seines Lebensgefährten reagierte, spielte Spengler 1978 atemberaubend ungeschützt und verstörend, lebensgierig und todessüchtig die letzten Tage der Transsexuellen Elvira Weishaupt. Sein offensiver Umgang mit der eigenen Homosexualität, das Vergnügen daran, in seinen Rollen Geschlechterklischees lustvoll und subversiv zu zerlegen, gerne mit zu einem trotzigen Quäken hochgetriebener Stimme, muss vor einem halben Jahrhundert irritierend gewirkt haben. Was Spengler erst recht mit Genuss ausgekostet hat. In einem Alter, in dem andere Schauspieler ihre Filmpreise zählen, entdeckte Spengler für sich an Berliner Volksbühne mit Schlingensief und Pollesch neue, angemessen furchtlose Partner seiner Kunst. Seinem Lebensziel, nie erwachsen werden zu müssen, "von der Infantilität ohne Umweg in die Senilität", wie er sagte, ist dieses große, schwer erziehbare, geniale Kind gerecht geworden. Am Samstag ist Volker Spengler wenige Tage vor seinem 81.Geburtstag in Berlin gestorben.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4790435
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 10.02.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.