Nachruf auf Stephen Joyce:"Ich bin kein Joyceaner, ich bin ein Joyce."

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Stephen James Joyce ist tot. Der Enkel von James Joyce hatte mit Literatur wenig zu tun, hütete aber streng das Andenken seines Großvaters.

Von Willi Winkler

Das barbarische Ritual der Witwenverbrennung ist zu Recht aus der Mode gekommen, doch lebt die Künstlerwitwe fort und wacht über irdische Hab und geistiges Gut des Verblichenen. Eine besonders kuriose und fast schon literarische Variante dieser überbesorgten Witwenschaft bot Stephen James Joyce, der Enkel des fast gleichnamigen Dichters. Er hatte mit Literatur sehr wenig zu tun, sondern brav in Harvard studiert und ein Beamtenleben bei der OECD zugebracht, ehe er sich als Rentner seines fünfzig Jahre zuvor gestorbenen Großvaters entsann und alle Joyceaner zu bedrängen begann. "Ich bin kein Joyceaner", wurde seine stehende Redewendung, "ich bin ein Joyce." Und dieses Kapital reizte er genüsslich aus. Der Literaturwissenschaftler Richard Ellmann hatte es gewagt, Joyce' sehr leidenschaftliche und entsprechend ausdrucksvolle Briefe an seine Frau Nora zu veröffentlichen. Für den Enkel war damit das Andenken des großen Mannes entweiht und die Familienehre in den Schmutz gezogen.

Als Rächer der vermeintlich verlorenen Ehre tauchte Stephen seit 1988 überall auf, wo sich die Gemeinde im Namen seines Opas versammelte, in Triest, Zürich und Dublin, und bestand auf seinem moralischen Recht als einziger Nachfahr. Ob der "Ulysses" Weltliteratur war oder nicht, kümmerte ihn nicht. In einer wilden Parodie der frühen Zensurmaßnahmen gegen dieses Buch schwang sich der jüngere Joyce selber zum Zensor auf: Biografen und Forschern untersagte er das Zitieren aus unveröffentlichten Briefen, selbst wenn sie längst im Archiv lagerten. Was dem Philologen wichtig und dem Joyce-Verehrer heilig ist, sollte nur mit Stephens Segen in die Öffentlichkeit gelangen, und den verweigerte er mit zänkischer Inbrunst.

In Wien schockierte er eine Versammlung mit der Mitteilung, dass er mehr als tausend Briefe von Lucia Joyce verbrannt habe, dazu auch mehrere von Samuel Beckett, in den sie sich unglücklich verliebt hatte. Lucia war James Joyce' einzige Tochter und die Inspiration für einige der schönsten Stellen in "Finnegans Wake", aber das kümmerte ihren Neffen nicht weiter. Geboren wurde Stephen Joyce 1932 in Paris, er zog dann mit der Familie nach Zürich ("Das ist meine Stadt!" konnte er an der Limmat stehend donnern), arbeitete in Paris, lebte nach seiner Pensionierung auf einer Insel vor der französischen Atlantikküste und wurde kurz vor seinem Tod noch irischer Staatsbürger. Am Donnerstag ist der Hüter seines Großvaters im Alter von 87 Jahren gestorben.

© SZ vom 27.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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