Nachruf auf Ryuichi Sakamoto:Der Weltenwanderer

Nachruf auf Ryuichi Sakamoto: Er brauchte wenig, um auszudrücken, was er zu sagen hatte: Ryuichi Sakamoto.

Er brauchte wenig, um auszudrücken, was er zu sagen hatte: Ryuichi Sakamoto.

(Foto: Joel Saget/AFP)

Ob im japanischen Rock, im Jazz oder in seinen oscargekrönten Soundtracks - Ryuichi Sakamoto suchte die spirituelle Erfahrung großer Musik. Ein Nachruf.

Von Andrian Kreye

Ryuichi Sakamotos letztes Album "12" war ein leiser Abschied im Angesicht eines lange angekündigten Todes, der ihn am vergangenen Donnerstag ereilte. Zwölf Miniaturen, Klänge aus den Synthesizern und dem Flügel. Sie waren ihm in seinen letzten Monaten das Einzige, das ihm noch ein Gefühl von Leben und Geborgenheit geben konnte, wie er erzählte. Man hört seinen Atem, im Hintergrund leise Geräusche der medizinischen Geräte, die den Krebskranken am Leben erhielten. Es sind große Töne und Akkorde, mit denen er noch einmal deutlich machte, wie wenig er brauchte, um auszudrücken, was er zu sagen hatte.

So zartfühlig waren früher weder Sakamoto noch seine Musik. In jungen Jahren spielte er Jazz, aber dann gründete er 1978 mit dem Bassisten Haruomi Hosono und dem Schlagzeuger Yukihiro Takashi das Yellow Magic Orchestra. Inspiriert vom Komponisten Isao Tomita und der deutschen Band Kraftwerk produzierten sie eine wilde Mischung aus Elektropop, japanischem Rock und Exotika, die sie bald schon zu einer der maßgeblichsten Bands Asiens machte.

Auf Alben wie "Multiplies", "BGM" und "Technodelia" nahmen sie viel voraus, was später Techno, J-Pop und den Eklektizismus der Achtzigerjahre bestimmte. Es war aber vor allem ihre Respektlosigkeit vor den sonst gerade in Japan so verehrten amerikanischen Vorbildern, die das Yellow Magic Orchestra zu so einer Größe machte. Ausgerechnet mit einer höchst albernen Coverversion des Soul-Klassikers "Tighten Up" schaffen sie es dann auch in die amerikanischen Charts.

Seine Filmmusik für "Der letzte Kaiser" wurde mit dem Oscar geehrt

Ohne die Band wurde Sakamoto bald schon zum internationalen Star. Er arbeitete mit David Byrne, David Sylvian, Iggy Pop und wer es sonst noch so mit seinem Intellekt aufnehmen konnte. In Hollywood holten sie ihn, weil er nicht nur große Melodien schrieb, sondern auch Stimmungen erzeugen konnte. Sakamoto schrieb 48 Soundtracks, für "Merry Christmas, Mr. Lawrence" etwa, "Der letzte Kaiser" (für den er einen Oscar bekam) und "The Revenant".

Mit seinen Solo-Alben verließ er die Traditionen des Pop immer weiter. Egal ob mit Flügel, Elektronik, Band oder Orchester, Sakamotos Musik ging immer mehr in die Tiefe und in die Fläche. Musik stand für ihn aber nie für sich selbst, sondern immer in einem größeren Kontext. Als sie in seinem New Yorker Lieblingslokal "Kajitsu" vor ein paar Jahren mal eine Playlist aus brasilianischem Pop, amerikanischem Folk und Jazz spielten, verließ er das Lokal und schrieb dem Wirt, er liebe sein Essen und vielleicht auch das meiste, was in der Playlist gespielt werde, aber das passe alles so gar nicht zusammen.

Warum die spirituelle Erfahrung eines großartigen Mahls und die spirituelle Erfahrung großartiger Musik in einen so störenden Kontext setzen? Sakamoto war es sehr ernst, und so stellte er dem Lokal eine Playlist zusammen, die so etwas wie die Summe seines Hörens in den späten Jahren war. Von John Cage über Mary Lou Williams bis Brian Eno reicht der Horizont, den er da eröffnet, behutsam wie so viele seiner Kompositionen.

Im Jahr 2014 wurde der Krebs erstmals bei ihm diagnostiziert. Nach einer einjährigen Pause kehrte er an die Arbeit zurück. Am Sonntag wurde nun bekannt, dass er im Alter von 71 Jahren gestorben ist.

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