Süddeutsche Zeitung

Nachruf auf Roger Scruton:Rechte Würze

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Die prominenteste Stimme des konservativen Denkens in Großbritannien ist verstummt: Der Philosoph Roger Scruton bereicherte die Debatte, bevor sich unversöhnliches Lagerdenken durchsetzte.

Von Alexander Menden

Zu behaupten, Sir Roger Scruton sei eine Figur gewesen, an der sich die Geister schieden, wäre jene Art von Understatement, zu welcher der englische Autor, Ästhet, Architekturkritiker, Komponist und konservative Denker selbst eher nicht neigte. Er darf vielmehr geradezu als Inkarnation jener ideologischen und philosophischen Impulse gelten, denen das Vereinigte Königreich seinen derzeitigen Zustand permanenter politischer Konvulsion verdankt. Sir Roger war jene Art von hochgebildetem Exzentriker, die einem öffentlichen Diskurs, der noch nicht so stark von unversöhnlichem Lagerdenken beherrscht war, früher erst die rechte Würze verlieh. "Ein provokativer, manchmal empörender konservativer Denker, für den eine wahrhaft liberale Gesellschaft als Herausforderung dankbar sein sollte", schrieb der Historiker Timothy Garton Ash auf Twitter.

Václav Havel gehörte zu seinen Bewunderern

Im Jahre 1944 im englischen Buslingthorpe als Sohn eines Lehrers geboren, studierte Roger Scruton in Cambridge Philosophie und Ästhetik. Er profilierte sich in den Achtzigerjahren als Herausgeber der Salisbury Review, einer Publikation für traditionalistische Konservative, denen Margaret Thatchers Betonung der Kräfte des Marktes gegen den Strich ging. Die Zeitschrift kritisierte früh Konzepte wie Multikulturalismus und wurde dafür rassistischer Tendenzen bezichtigt. Zugleich war sie Pflichtlektüre vieler Dissidenten jenseits des Eisernen Vorhangs. Roger Scruton reiste in den Siebziger- und Achtzigerjahren regelmäßig in Warschauer-Pakt-Staaten, besonders in die Tschechoslowakei, um dort heimlich Philosophievorlesungen zu halten; Václav Havel gehörte zu seinen Bewunderern und verlieh ihm 1998 als Präsident die tschechische Verdienstmedaille.

Als Professor am Londoner Birkbeck College, wo er von 1971 bis 1992 Ästhetik lehrte, empfand er sich als "einzig wahrer Konservativer" isoliert. Dies sah Scruton jedoch auch als eine Art Auszeichnung, ebenso wie die Verrisse seiner essayistischen Bücher, welche die Kritik weitgehend als reaktionär verurteilte. Andere lobten etwa seine Antithesen zu den Theorien des australischen Utilitaristen Peter Singer als bedenkenswert und wegweisend, auch seine philosophischen Einführungen etwa zu Spinoza oder Kant fanden positive Resonanz.

Dass er ein großer Unterstützer des britischen Ausstiegs aus der EU war, konnte niemanden überraschen, ebenso wenig wie die Tatsache, dass der ungarische Premier Viktor Orbán ein Fan Scrutons war. Er verlieh Sir Roger, als dieser bereits von seiner Krebserkrankung gezeichnet im Rollstuhl saß, den ungarischen Verdienstorden. Noch im April vergangenen Jahres sorgte Scruton für Aufsehen, als aus dem Zusammenhang gerissene, vermeintlich antisemitische und antimuslimische Zitate in einem Gespräch mit dem New Statesman erst zu seiner Entlassung, dann, nach einer Entschuldigung des Magazins, seiner Wiedereinstellung als Architekturberater der britischen Regierung führte. Am 12. Januar ist Sir Roger Scruton im Alter von 75 Jahren gestorben.

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SZ vom 15.01.2020
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