Nachruf auf Kenny Rogers:Erstaunlich verletzlich

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Seine Songs sprächen aus, sagte Kenny Rogers einmal, „was jeder Mann sagen und jede Frau hören will“. (Foto: Reuters)

Der amerikanische Sänger Kenny Rogers, der eher Schmuse-Country-Kerl als Western-Outlaw war und mit Songs wie "Islands In the Stream" weltberühmt wurde, ist tot.

Von Jens-Christian Rabe

Die längste Zeit seines langen Lebens war Kenny Rogers ein vollbärtiger Schmusecountry-Kerl mit stolzem Schnauzer, ausnehmend gepflegter Vokuhila-Föhnfrisur und getönter silberner Brille. Ein Bild von einem Mann, wie man im 20. Jahrhundert sagte, diese Mischung aus Autohändler, Wirt und Schlagersänger. Hätte es auf der Welt zuerst Goldkettchen, schwere Siegelringe, Cowboystiefel, Sakkos mit zu breitem Revers und großzügig über dem dichten Brusthaar geöffnete Hemden gegeben, hätten sie sich dieses Gesicht gekauft. Und diese Stimme, die tief entspannt kraftvoll-dominant herumheisern, aber eben auch erstaunlich hoch und geschmeidig schmachten konnte.

Sie versetzte Rodgers in die günstige Lage, als Interpret sowohl mit windelweichen Säftel-Schnulzen wie "Islands In The Stream" durchzukommen als auch mit Songs wie "Coward Of the Country", "Ruby, Don't Take Your Love To Town" oder "Lucille", die für ihre Zeit und vor allem ihr amerikanisches Mainstream-Publikum ein erstaunlich verletzliches Männerbild hatten und hier und da fast schon sozialkritisch waren. Frauenfiguren, die anderes waren als Fluch oder Segen für Männer, kannten sie natürlich auch nicht, und der unaufgeklärte gekränkte Mann, auf den es dann doch immer hinauslief, ist ja, wie wir heute wissen, noch kein Fortschritt.

Ach, diese Musik, deren Geheimnis Rogers selbst einmal allerbestens beschrieb als die Kunst, zu sagen, "was jeder Mann sagen und jede Frau hören will". Bei großen Fernsehgalas vor erbarmungslos mitpatschendem Publikum ließ er dafür bei "Coward Of The Country" auch gerne mal die Strophe weg, in der es um die Gruppenvergewaltigung der Ehefrau des Helden geht, und ging gleich über zu den Versen mit dem glorreichen Rachefeldzug.

Er versuchte es mit Doo-Wop, Rock'n'Roll und Jazz, bevor er Countrysänger wurde

Über 100 Millionen Alben und 22 Nummer-Eins-Hits brachten Rogers am Ende Weltruhm und Grammy-Ehren, nur ein Spätwerk wie das von Johnny Cash oder Willie Nelson, das auch seine Gegner hätte versöhnen können, gelang ihm nie. Den Country-Outlaw, den er dafür hätte geben müssen, hatte er dann doch nicht im Repertoire. Dafür war er einfach nicht Country genug, begonnen hatte in der High-School mit Doo-Wop und Rock'n'Roll, als seine ersten Singles floppten, dann spielte er Kontrabass in einer Jazzband, bevor er sich in den Sechzigern dem Country zuwendete.

Wobei seine musikalische Flexibilität andererseits auch wieder Kuriositäten hervorbrachte wie die gar nicht so üble Soulfunk-Imitation "The Hoodooin' of Miss Fanny Deberry" auf seinem wahrscheinlich berühmtesten, 1978 erschienenen Album "The Gambler", das ihm die Hauptrolle einer vierteiligen Western-Fernsehfilmserie gleichen Namens einbrachte.

Und dann ist da ja noch "Just Dropped In (To See What Condition My Condition Was In)", der im Studio so genial wie dreist kalkulierte Hit mit dem rückwärts leiernden Riff am Anfang, mit dem Rogers mit seiner Band "The First Edition" 1968 die damalige Psychedelic-Rock-Welle auf dem Trittbrett surfte. Der von Mickey Newbury als Warnung vor den Folgen des LSD-Konsums angelegte Song schaffte es bis auf den fünften Platz der amerikanischen Billboard-Charts: "I woke up this morning with the sundown shining in / I found my mind in a brown paper bag within". Es gibt Menschen, die behaupten, dass "Just Dropped In" den Tod der Hippie-Kultur bedeutet hätte, wenn diese sich in San Francisco nicht ein Jahr zuvor schon selbst für tot erklärt hätte. Für alle viel zu spät Geborenen retteten dann allerdings 1998 die Coen Brothers den Song in einer unwiderstehlich cool-klamaukigen Traumsequenz in ihrem ultimativen Hänger-Film "The Big Lebowski". Jeff Bridges ließ darin die Hauptfigur, den "Dude", aussehen wie Kenny Rogers' liebenswürdig abgehalfterten coolen Bruder, der eher mal so vorbeischaut in seinem eigenen Leben, um zu gucken wie der Zustand seines Zustandes so ist.

Am Freitagabend ist Kenny Rodgers in seinem Haus in Sandy Springs, Georgia, im Alter von 81 Jahren gestorben.

© SZ vom 23.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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