Nachruf auf Harald Juhnke:Der pfiffigste Nihilist des Wirtschaftswunders

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Er hatte Erfolg und flirtete mit dem Untergang. Harald Juhnke, einer der größten und besten Entertainer, die Deutschland hatte, ist tot. Von Bernd Graff

Der Schauspieler und Entertainer Harald Juhnke, einer der besten, die Nachkriegsdeutschland hatte, ist tot.

Er tat es auf seine Weise. Und genau dafür liebten ihn alle. (Foto: Foto: AP)

Der am 10. Juni 1929 geborene Berliner, Sohn eines Polizeibeamten, stand im November 1948 im "Haus der Kultur der Sowjetunion", dem heutigen Maxim-Gorki-Theater zum ersten Mal auf der Bühne. Er spielte einen schneidigen Offizier und nahm damit gewissermaßen schon jenen berühmt gewordenen "Hauptmann von Köpenick" vorweg, den Katharina Thalbach im Januar 1996 an derselben Stelle inszeniert hat.

Das ist der künstlerische Bogen Juhnkes gewesen, ein Lebenszirkel gewissermaßen, und mindestens so schillernd wie ein Regenbogen: Vom jungen Heißsporn zum desillusionierten, vom Leben geschüttelten Gernegroß, der nichts unversucht lässt, es trotz aller Widrigkeiten "My Way" zu schaffen.

Das Leben erscheint darin wie eine sinnlose Großaufgabe, die man nie meistern kann und immer neu angehen muss. Aber heiter, Freunde. Heiter.

Den Sinatra-Song übrigens hat er mit soviel Charme und Chuzpe intoniert wie keiner - nicht einmal Sinatra selber.

Auch das ein Grund für seinen Ruhm und den Ruf eines unwiderstehlichen Charmeurs. Und den eines waghalsigen Brausekopfes, der viel wagt und genauso viel schon verloren hat - doch stets sich selber treu bleibt.

Juhnke war der pfiffigste Nihilist, den das satt und saturierter werdende Wirtschaftswunderdeutschland hervor gebracht hat.

Und in ihm spiegelten sich die Jahre.

Ab 1950 ging es mit Juhnke nach bundesrepublikanischen Muster aufwärts. Zuerst am Theater Neustrelitz bei Schwerin. Von dort an die Freie Volksbühne in Berlin. Später hatte er verschiedene Engagements als freischaffender Schauspieler in Hamburg, Köln, Düsseldorf und München, wo er gelegentlich in der "Kleinen Komödie" gastierte. Ein Publikums- und Kritikererfolg gelang ihm aber erst in München im Frühjahr 1966 mit der ihm häufig zugedachten Rolle des Liebhabers in Herberts Boulevardstück "Jungfrau auf dem Wolkenkratzer". Hanns Braun lobte damals in der Süddeutschen Zeitung "jene angenehme Nonchalance", die ein Markenzeichen des Schauspielers wurde.

Carl Fröhlich entdeckte Juhnke bereits in den 50er Jahren für den Film. Für "Drei Mädchen spinnen" (1953) stand er erstmals vor der Kamera und drehte dann über 70 Kinofilme, zuletzt "Schtonk" (1992), "Alles auf Anfang" (1993) und "Gespräch mit dem Biest" (1997).

Zu breiter Popularität als Entertainer und zum Publikumsliebling wurde er in den 70er Jahren vor allem durch das Fernsehen.

Er spielte in den Serien "Ein Mann für alle Fälle" sowie - ganz besonders eindrucksvoll - in "Ein Mann will nach oben" nach Hans Fallada.

Hier zeigte Juhnke, das er ein unvergleichlich mitreißendes Schauspieltalent besaß und die Fähigkeit zu Einfühlung in noch die gebeuteltsten Charaktere. Quasi nach dem Motto: Immer schlauer als das Leben sein, das ohne Unterschied und ohne mit der Wimper zu zucken in die Fresse gibt.

Er zeigte in solchen Rollen hochkonzentriert und weitaus mehr Talent als etwa in der Unterhaltungsreihe "Ein verrücktes Paar" mit Grit Böttcher, die ab Ende der 70er Jahre gleichwohl das Publikum begeisterte.

Genauso wie die ZDF-Sendung "Musik ist Trumpf", die er im März 1979 als Nachfolger des verstorbenen Peter Frankenfeld übernommen hatte.

Immer wieder tauchte der Liebling auch der Boulevardpresse wegen seiner zunehmenden Alkohol-Exzesse in den Schlagzeilen auf.

Er, der vermeintlich alles und alle hatte, riskierte damit ernsthaft seine professionelle Karriere.

Doch wie Falladas unverwüstlicher Mann, der nach oben will, ein getriebner Korken auf dem Wasser, tauchte Juhnke immer wieder auf.

Im Herbst 1979 etwa nach einem ersten Großskandal mit der Show "Das Karussell fährt immer rund herum", dann der Serie "Leute wie du und ich" (1981-1984) und mit der ZDF-Komödie "Es bleibt in der Familie" (1981).

Dennoch hielt Juhnke trotz zahlloser Konzerte und Fernsehshows dem Theater die Treue. An Hamburgs "Kleiner Komödie" riss er 1979 in "Die Eule und das Kätzchen" das Publikum zu Lachstürmen hin, in München spielte er drei Monate lang vor ausverkauftem Haus in dem Boulevardstück "Spiel mit dem Feuer", und in Berlin brillierte er am Kurfürstendamm-Theater in dem Zwei-Personen-Musical "Sie spielen unser Lied". Im Frühjahr 1981 dann die Rolle in "Happy End" (Brecht/Weill) am Münchner Residenztheater.

Doch Juhnke produzierte mindestens genauso viele Negativ-Schlagzeilen, die jedoch alle an ihm abzuperlen schienen. So mussten Tournee- und Fernsehauftritte wegen Unpässlichkeiten des öfteren abgesagt werden. 1984 musste das Theaterstück "Ein klarer Fall" in Hamburg deswegen sogar mitten im 2. Akt abgebrochen werden.

Das Publikum - aber auch die Sender, vor allem RIAS Berlin - standen dennoch weiter zu ihm. Obwohl der Moderator etwa einen längst vereinbarten Auftritt bei Hans Rosenthals populärer Quizsendung "Dalli - Dalli" äußerst kurzfristig abgesagt hatte. Dem ZDF war das gleichwohl zuviel - man trennte sich.

Also ging Juhnke zur ARD.

Eine "kongeniale" TV-Rolle übernahm er nach Kritikermeinung in der Serie "Drei Damen vom Grill" und drehte 1986 in der NDR-Sketchreihe "Harald & Eddie" mit Eddi Arent.

Sein Dauerflirt mit der E-Kultur wurde im Alter immer ausdrucksmächtiger. Immer öfter wechselte er ins ernste Fach, band sich 1987 fest ans Berliner Renaissance-Theater, und spielte selbst Tragikomödien.

Sein großes schauspielerisches Talent stellte er so mit der Rolle des Archie Rice in Osbornes "Der Entertainer" und 1988 als Molières "Tartuffe" unter Beweis. 1989 und 1991 mimte er in Berlin in Bob Larbeys "Schon wieder Sonntag" einen kämpferischen Altenheimbewohner, und 1990 stand er in Molières "Der Geizige" auf der Bühne. 1993 feierten ihn die Berliner Kritiker und das Theaterpublikum in Peter Turrinis "Alpenglühen".

Auf die Leinwand kehrte Juhnke 1992 dann in der Nebenrolle in Helmut Dietls Film "Schtonk" als Ressortleiter Kummer zurück.

Seine "herausragende komödiantische" Leistung in dieser Satire um die gefälschten Hitler-Tagebücher brachte ihm 1993 den Ernst-Lubitsch-Preis ein. Mit dem Bayerischen Fernsehpreis wurde Juhnke 1993 für die Hauptrolle in dem TV-Film "Der Papagei" ausgezeichnet, der nachträglich in die Kinos kam. Ralf Huettner inszenierte diese Politsatire um einen abgehalfterten Schauspieler und Synchronsprecher, den eine Nazipartei als populären Kandidaten aufbaut.

1994 kam J. mit Reinhard Münsters Film "Alles auf Anfang" (1993) in die Kinos, und im selben Jahr verfilmte das ZDF mit ihm und Heinz Schubert den 13-Teiler "Zwei alte Hasen". 1995 übernahm Juhnke die Hauptrolle in Tom Toelles TV-Verfilmung des Fallada-Romans "Der Trinker" und wurde von der Fachkritik überschwänglich gelobt.

Im Frühjahr 1998 veröffentlichte er mit dem Journalisten Dr. Harald Wieser anlässlich seines 50. Bühnenjubiläums die Autobiographie "Meine sieben Leben", die er selbst als "sein Testament, sein einzig gültiges Vermächtnis" kennzeichnete.

Juhnke war eben Juhnke - gerade, wenn er in seinen Schauspiel-Rollen doch immer wieder nur sich selber spielte.

Tituliert als "der erste Trinker des Landes" und bezeichnet als "untragbares Risiko" für Fernsehaufnahmen, sank Juhnke für die öffentliche Wahrnehmung zuletzt auf die Stufe des krank gesoffenen Alten, der sich im Rausch bei der Verrichtung obszöner Tätigkeiten ablichten lässt.

Obszön war daran vermutlich nur, dass solche Fotos die Titelseiten der Gazetten schmückten.

Nach weiteren Exzessen und wirren Skandalen im Dezember 2001 dann die Meldung seines Managements, Juhnke sein nun unheilbar krank und lebe fortan in der Nähe von Berlin in einem Pflegeheim für Demenzkranke.

Hier ist er nun gestorben. Das deutsche Theaterleben und die deutschen Medien haben allen Grund zu trauern.

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