Nachruf auf Ginger Baker:Irre Geschichten

Cream In Concert

Als Drummer bündelte Ginger Baker eine virtuose Jazztechnik mit einer ungeheuren Aggressivität.

(Foto: Getty Images)

Ginger Baker war einer der prägendsten Schlagzeuger der Welt, mit seiner Band "Cream" revolutionierte er den Rock und bereitete den Weg für Bands wie die "Rolling Stones". Jetzt ist er im Alter von 80 Jahren gestorben.

Von Andrian Kreye

Man muss das Klischee vom Schlagzeuger als Naturgewalt beim am Sonntag verstorbenen Ginger Baker ganz buchstäblich verstehen. Mit einer Betonung auf Gewalt. Es gab kaum einen Musiker, der zorniger und handgreiflicher werden konnte, als der 1,93 Meter große, rothaarige Engländer, der mit der Band Cream Musikgeschichte schrieb, weil sie der Welt mit ihren haushohen Verstärkertürmen und extremen Lautstärken den Weg zum Hardrock ebnete. Was umso wuchtiger wirkte, weil Ginger Baker am Schlagzeug das Kunststück fertigbrachte, seine virtuose Jazztechnik mit seiner ungeheuren Aggressivität im Bluesrock des Trios zu bündeln.

Vielleicht half es ja der Wucht, dass die Musik von Cream ihm selbst fast so auf die Nerven ging wie seine beiden Mitmusiker. Jack Bruce konnte er schon seit Jahren nicht leiden, aus der Zeit, als sie Anfang der Sechzigerjahre noch gemeinsam in Alexis Korners Blues Incorporated spielten. Und seine Abneigung war so groß, dass er bei einem Konzert mal über seine Trommeln sprang und den Bassisten so vermöbelte, dass gleich mehrere Bühnenarbeiter dazwischen gehen mussten.

Aber wenn er Bruce wenigstens noch hasste, so hatte er für den Gitarristen Eric Clapton nur Verachtung übrig. Ein Weichei sei das gewesen, ein mittelmäßiger Bluesklampfer, der seine Weltkarriere ja nur seiner, also Bakers Band Cream verdankte. Clapton habe oft weinen müssen, wenn sich Baker und Bruce im Tourbus mal wieder in die Haare kriegten. Und, ach ja: "Hardrock ist das letzte. Ein Scheißlärm." Das sagte er mal bei einem Treffen bei sich zu Hause in der kalifornischen Wüste, als seine große Zeit als Rockstar bei Cream, Blind Faith und der Baker Gurvitz Army, als Musikpionier in Afrika und Schlagzeuggott für mindestens drei Generationen Musiker eigentlich schon vorbei war.

Man spürte diesen Zorn immer noch, mit dem er sich immer wieder im Wege stand, und den er lange mit dem giftigsten Gift der Rockgeschichte betäubt hatte. Denn das Schlüsselerlebnis seines Lebens war ja weder die Gründung von Cream, noch irgendeine der Bluesplatten, die bei seinen Zeitgenossen solch seelentiefe Beben ausgelöst hatten. Bei Charlie Watts zum Beispiel (den er bei Korner ablöste - "kein besonderer Schlagzeuger") oder Mick Jagger ("ein Bürschchen, ein musikalischer Depp"), die dann die Rolling Stones  gründeten.

Er redete viel lieber über seine Zeit in Nigeria als über Cream

Nein, die entscheidende Nacht war, als sein Held, der legendäre Jazzdrummer Phil Seamen, 1960 in einen der Jazzclubs kam und ihm sagte, er sei einer der wenigen, die wirklich verstanden hätten, was Rhythmus bedeutet. Seamen zeigte dem damals Zwanzigjährigen, wie man Heroin injiziert. Und er spielte ihm afrikanische Schallplatten vor. Beides sollte ihn lange nicht loslassen. Das Heroin bis in die frühen Achtzigerjahre. Afrika nie wieder.

Und so erzählte er auch in der kalifornischen Wüste sehr viel lieber von seiner Zeit in Nigeria, als von seiner Meilensteinband Cream, mit der er so immerwährende Songs einspielte wie "Sunshine of Your Love", "White Room" oder "I Feel Free" ("Vollkommen unausgereifte Musik. Und diese sinnlosen Lautstärken. Ich hatte permanent ein Klingeln in den Ohren"). Nein, seine persönlich größte Zeit waren die fünf Jahre nach 1970, als er sich aus einer Laune und der Leidenschaft zur afrikanischen Musik heraus in Nigeria niederließ.

Der Saxofonist und Sänger Fela Kuti öffnete ihm dort die Türen zur Musik, zum Leben und zur Macht in Lagos. Der hatte in London studiert. Man kannte sich. Und mit ihm nahm er auch die vielleicht beste Platte seines Lebens auf, eine Live-Aufnahme aus dem Jahr 1971, auf der Baker mit der vierzehnköpfigen Band Africa '70 seines Freundes spielte. Ein Monster von Platte, auf der Kuti Band und Menge mit seiner aggressiven Stimme anheizte und Bakers Schlagzeug unter den Polyrhythmen der Perkussionisten, Gitarristen und Bläser explodierte.

Ginger Baker war Pionier damals. Er gründete mit einem anderen ehemaligen Exilstudenten aus London, dem Schlagzeuger Remi Kabaka, das erste Mehrspurstudio auf dem afrikanischen Kontinent. Irre Geschichten erzählte er aus dieser Zeit. Wie sein Ex-Rockstar-Kollege Paul McCartney mit seiner Band Wings nach Lagos kam, weil es unfassbar hip war, dort aufzunehmen.

Er gründete eine Firma, verlor sie wieder, spielte Polo, hatte Steuerschulden

Es war für Ausländer gar nicht so einfach gewesen, einzureisen. Aber Bakers Partner Kabaka hatte Verwandte und Beziehungen in der Armee und der Regierung. So verschafften sie dem Ex-Beatle Visa, drei Häuser mit zwölf Hausangestellten, zwei Range Rover, alles umsonst. Allerdings hatte die Plattenfirma EMI da schon das Geschäft auf dem Kontinent gewittert und ein Konkurrenzstudio aufgemacht. Und weil McCartney damals dort unter Vertrag war, musste er gleich schon am zweiten Tag umziehen. "Blöd wie ich bin, fahr' ich auch noch das ganze Zeug rüber", erinnerte sich Baker. "Mein Partner ist ausgerastet." Am nächsten Tag ein Anruf bei Baker. Ob er McCartney retten könne? Kabaka hatte mit der Garde des Präsidenten das Studio besetzt und die Aufnahmen mit aufgepflanzten Bajonetten gestoppt.

Baker holte die Wings da raus. Die buchten zum Dank für die Aufnahmen zu "Band on the Run" noch ein paar Studiostunden bei ihm, die sie nie bezahlten. Und auch der Rest der afrikanischen Jahre klingt wie ein Dauerfeuer aus Irrsinn und Abenteuer. Baker fuhr Rallyes, wurde von der Polizei aus Lagos in den Busch gejagt. Im Norden des Landes gründete er eine Transportfirma, die ihm später die Algerier abjagten. 1975 kehrte er nach London zurück, wo er die Baker Gurvitz Army gründete, auf die er keinen rechten Bock hatte. Er spielte Polo, gab sehr viel Geld dafür aus und wurde schließlich, wie so viele britische Rockstars seiner Zeit, von der Steuerfahndung verfolgt. Erst setzte er sich nach Italien ab, dann nach Amerika.

Der Rest seines Lebens war eine rastlose Abfolge von Kapiteln, an die sich kaum einer erinnert. Auch wenn er Rockgeschichte geschrieben hatte, sah er sich doch eigentlich immer als Jazzdrummer. Doch er spielte dann noch mit Hawkwind, Atomic Rooster und Johnny Lydons PIL.

Mit dem damaligen Superproduzenten Bill Laswell nahm er Platten auf, bei denen er einfach Schlagzeugspuren ablieferte, die Laswell dann mit Instrumenten von Musikern ergänzte, die Baker nie zu Gesicht bekam. Er gründete Jazzrockgruppen und spielte mit jungen Bands. Er zog nach Südafrika. 2005 schlossen sich Cream noch einmal für ein paar Konzerte in der Londoner Royal Albert Hall und im New Yorker Madison Square Garden zusammen.

Aber die Spannungen waren immer noch zu groß, als dass das eine Zukunft gehabt hätte. 2016 zog sich Baker aus der Öffentlichkeit zurück. Das wilde Leben hatte ihn eingeholt. Herz und Lunge machten ihm das Leben zur Hölle und das Trommeln unmöglich. Am 6. Oktober ist Ginger Baker im Vereinigten Königreich gestorben. Er wurde 80 Jahre alt.

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