Wenn die moderne deutsche Universität überhaupt Helden hervorbringen kann, trotzige Helden des intellektuellen Widerstands, so war einer von ihnen dieser: Friedrich Kittler, ein Mann mit einem erstaunlichen Gedächtnis, zuletzt Professor für Ästhetik und Geschichte der Medien an der Humboldt-Universität zu Berlin und Gastprofessor an einem halben Dutzend internationaler akademischer Elite-Institutionen, betrieb, als Lehrer und Forscher, die "Austreibung des Geistes aus den Geisteswissenschaften" - so der Titel einer seiner frühesten Publikationen, eines Sammelbands aus dem Jahr 1980.
Der Kulturwissenschaftler Friedrich Kittler, der Mitte der 80er vor allem für seine Medientheorie bekannt wurde, starb am Dienstag im Alter von 68 Jahren in Berlin.
(Foto: dpa)Mit der "Austreibung" gemeint war ein Materialismus der Medien: Nicht um die Erschließung von "Sinn" oder "Bedeutung" solle es in den Geisteswissenschaften gehen, sondern um die Erkenntnis, dass alle Kultur auf Zeichen beruhe. Darum, dass alle Zeichen durch ihre materielle Existenz definiert sind. Und darum, dass sich in allen Zeichen eine Macht geltend macht.
Mit dieser, von Michel Foucaults Theorien der Macht inspirierten, aber ins Technische gewandten Lehre, die alles auf den Kopf stellen wollte, was die Geisteswissenschaften als ihre Aufgabe betrachtet hatten, rannte Friedrich Kittler zunächst gegen eine Wand: Dreizehn Gutachter sollen ihre Köpfe über seine Freiburger Habilitationsschrift gebeugt haben, die in ihrer publizierten Form "Aufschreibesysteme 1800/1900" hieß, zwei Jahre soll das Verfahren gedauert haben.
Doch als das Werk dann erschien, im Jahr 1985, wurde es zu einem der wenigen Bücher, die in den Philologien, in der Philosophie und in den historischen Fächern quer durch die Universitäten gelesen wurden: So faszinierend war die Geschichte, wie sich, beginnend mit der allgemeinen Alphabetisierung im achtzehnten Jahrhundert, die Zeichen nicht nur als Träger aller kulturellen Prozesse durchsetzten, sondern buchstäblich die Macht übernahmen - über die Mechanisierung der Schrift und des Geistes im späten neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts, etwa in der Psychophysik, bis hin zu "Datensätzen", die nur noch untereinander kommunizierten, in Gestalt von Computern. Was mit dem Glauben an die Befreiung des Menschen durch die Kultur begann, sollte also in der Auslöschung des Menschen durch den universalen Zeichenverkehr enden.
Georg Wilhelm Friedrich Hegel, der Propagandist des "Weltgeistes" und seines unaufhaltsamen Weges zu sich selbst, war der Gegner und einer der wichtigsten Gegenstände dieser Theorie. Doch während Friedrich Kittler meinte, mit seinem medialen Materialismus die Geschichtsphilosophie ein- für allemal aus den Geisteswissenschaften auszutreiben, wiederholte er sie unter umgekehrten Voraussetzungen: von der absoluten Herrschaft des Geistes voran zur absoluten Herrschaft des Materials.