Süddeutsche Zeitung

Nachruf auf den Theologen Johann Baptist Metz:Der Mitleidende

Er kämpfte für die Leidenden und Schwachen, kritisierte die Konsumgesellschaft: Nachruf auf den katholischen Theologen Johann Baptist Metz.

Von Matthias Drobinski

Am Anfang seines Nachdenkens über Gott stand der Tod der Freunde. 16 Jahre alt war Johann Baptist Metz, als er 1944 mit einer Meldung an den Gefechtsstand den Schützengraben verließ, und als er zurückkam, waren seine Kameraden tot, zerfetzt von Fliegerbeschuss und Panzergranaten. "Ich konnte ihnen allen, mit denen ich noch tags zuvor Kinderängste und Jungenlachen geteilt hatte, nur noch ins erloschene tote Antlitz sehen", schrieb er über den Anblick: "Ich erinnere nichts als einen lautlosen Schrei." Wo ist dieser Gott, der so etwas zulässt? Warum schweigt er, warum gibt es, wenn es ihn gibt, den millionenfachen Judenmord in Auschwitz?

Metz, geboren am 5. August 1928 im oberpfälzischen Auerbach, entwickelte in den sechziger und siebziger Jahren als Professor in Münster seine "neue politische Theologie". Sie redete nicht vom "lieben Gott" und nicht von der Befreiung des Einzelnen von der Sünde durch Gottes Gnade. Nach Auschwitz, so lehrte Metz, müsse die christliche Theologie radikal umdenken. Sie müsse sich den Schwachen und Leidenden zuwenden, die nach dem schweigenden Gott schreien, sie müsse auch fragen, welche politischen und gesellschaftlichen Strukturen Leid und Unrecht möglich machten.

Sein Leitbegriff hieß "Compassion", was für Metz mehr bedeutete als das deutsche Wort "Mitleid", das für ihn ein Gefälle vom Nichtleidenden zum Leidenden konstruierte. Die Mystik des Christentums sei eine "Mystik der Mitleidenschaft", die sich vom Leid des Anderen anrühren lässt und handelt. "Das Christentum ist kein blinder Seelenzauber", fasste er 1997 seine Erkenntnis zusammen: "Es lehrt nicht eine Mystik der geschlossenen, sondern eine Mystik der offenen Augen. Im Entdecken, im Sehen von Menschen, die im alltäglichen Gesichtskreis unsichtbar bleiben, beginnt die Sichtbarkeit Gottes, öffnet sich seine Spur."

Blindheit gegenüber dem anderen - das war für ihn Sünde

Die Sünde war für ihn wiederum weniger das Fehlverhalten des Einzelnen, sondern die Blindheit gegenüber dem Anderen, die Weigerung, über den eigenen Horizont und die eigene Gegenwart hinauszusehen - es war für ihn der Verrat an einem Glauben, der das Gedächtnis an Leiden, Tod und Auferstehung Jesu in den Mittelpunkt stellt. Metz lieferte damit den Erkenntnisvorrat für die lateinamerikanische "Theologe der Befreiung", die in den ungerechten politischen und sozialen Verhältnissen der Welt eine "strukturelle Sünde" sieht.

Er setzte sich kritisch mit den entstehenden Konsum- und Erlebnisgesellschaften in den reichen Ländern auseinander. Metz pflegte Kontakte zu Linken, gar Sozialisten, schloss Freundschaft mit dem Philosophen Jürgen Habermas. Das kam bei konservativen Katholiken so schlecht an wie bei der CSU - 1979 verhinderten der damalige Kultusminister Hans Maier und der damalige Münchner Kardinal Joseph Ratzinger, dass Johann Baptist Metz Professor in München wurde.

Dabei war Metz bei allem, was er schrieb und sagte, ein zutiefst spiritueller Mensch und überzeugter Priester seiner Kirche. Habermas, der religiös Unmusikalische, sagte, die Gottesdienste, die Metz feiere, vermittelten ihm eine Ahnung davon, was die Kirche bedeuten könnte. Dieser suchte die Aussöhnung mit seinem alten Gegner Ratzinger und brachte den Präfekten der Glaubenskongregation 2004 zur Diskussion mit Habermas zusammen. Spektakuläre Auftritte blieben ihm, dem Denker, unheimlich. Am Montag ist Johann Baptist Metz in Münster mit 91 Jahren gestorben.

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Quelle:
SZ vom 04.12.2019
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