Nachruf auf Amy Winehouse:"Mit Drogen ist sie ein größerer Star als ohne"

Obwohl Amy Winehouse nur zwei Alben veröffentlicht hat, erscheint ihr künstlerisches Werk seltsam vollendet. Die 27-Jährige wusste, dass sie viel mehr Talent besaß als die anderen Retro-Soul-Sängerinnen. Ihr Album "Back to Black" kam der Perfektion so nahe, dass der Druck auf die zu Drogen- und Alkoholexzessen neigende Künstlerin wuchs. Am Ende fehlte ihr wohl die Kraft.

Jens-Christian Rabe

27. Das ist kein Alter zum Sterben. Schon gar nicht für eine Soulsängerin. Als solche hat man da vielleicht die erste Ehe hinter sich. Mit 27 tanzt man dem Tod noch auf der Nase herum. Meistens. Amy Winehouse wurde 27 Jahre alt. Genau so alt wie einige der berühmtesten Drogentoten der Popgeschichte, so alt wie Brian Jones, Jim Morrison, Janis Joplin, Jimi Hendrix oder Kurt Cobain.

Nachruf auf Amy Winehouse: Die Musikwelt trauert um Amy Winehouse, die am Wochenende im Alter von 27 Jahren gestorben ist.

Die Musikwelt trauert um Amy Winehouse, die am Wochenende im Alter von 27 Jahren gestorben ist.

(Foto: Universal)

Am vergangenen Samstagnachmittag wurde die Sängerin mit der eindrucksvollsten Stimme des zeitgenössischen Souls leblos in ihrer Wohnung im Londoner Stadtteil Camden gefunden. Der Notarzt konnte nur noch ihren Tod feststellen. Die Todesursache ist noch unklar. Überraschungen sind aber eher nicht zu erwarten. Amy Winehouse hatte seit Jahren einen fatalen Hang zum Drogen- und Alkoholmissbrauch.

Ihr letzter Auftritt wird ein Konzert Ende Juni in Belgrad vor 20.000 Zuschauern bleiben. Es dauerte fast 90 Minuten, so lange wie wenige ihrer Shows, aber sie konnte dabei kaum stehen, geschweige denn singen, sie murmelte und lallte, setzte sich immer wieder auf den Boden, ließ ihr Mikrofon fallen und wies die Band an, Einsätze zu wiederholen oder gleich ganz allein zu spielen - es war eine Katastrophe. Oder mit anderen Worten: Die Handyvideo-Mitschnitte gingen blitzschnell um die ganze Welt.

Das letzte Mal in der Öffentlichkeit aufgetaucht war sie am vergangenen Mittwoch im "Roundhouse" in Camden an der Seite ihrer 15-jährigen Patentochter, der Soulsängerin Dionne Bromfield. Auch dieser Auftritt ist als wackeliges Filmchen dokumentiert. Sie schien angeschlagen, aber in besserer Verfassung als noch in Belgrad. Sollte tatsächlich stimmen, dass man sich um sie keine Sorgen mehr zu machen brauchte, wie noch am 12. Juli ihr Vater Mitch verlauten ließ, ein ehemaliger Taxifahrer, der zuletzt als mittelprächtiger Barjazz-Crooner versuchte, seinen prominenten Nachnamen zu Geld zu machen? Nein. Näher dran dürfte am vergangenen Freitag ihr letzter Eintrag auf Twitter gewesen sein: "oinka oikna oinka why you awake".

Die bittere Pointe ihrer Karriere wird also doch bleiben, dass ihre berühmteste Songzeile der Wahrheit viel mehr entsprach, als man es einem Künstler mit ihrem Suchtpotential wünschen kann: "They tried to make me go to rehab / But I said no, no, no" - Sie wollten mich zu einer Entziehungskur überreden, aber ich sagte nein, nein, nein. Es dürfte allerdings auch keine Hilfe gewesen sein, dass ihre Berater, wie der deutsche Konzertveranstalter Marek Lieberberg vor kurzem noch vermutete, bis zum Schluss wohl weniger ihre Gesundheit als ihren Marktwert im Kopf gehabt haben dürften bei der Planung der diesjährigen Europa-Tournee. Die letzten Versuche der Sängerin, in einer Londoner Rehabilitationsklinik die Drogen- und Alkoholsucht loszuwerden, scheiterten im Frühjahr.

Nur zwei Alben - und doch ein vollendetes Erbe

Das künstlerische Werk, das Amy Winehouse hinterlässt, besteht gerade einmal aus zwei ganzen Alben, wirkt aber im Nachhinein seltsam vollendet. Das 2003 erschienene Debüt "Frank" zeigte sie schon als herausragende Soulstimme. Das unverwechselbar kraftvolle, knarzige Nölen, das sie weltberühmt machen sollte, ist schon deutlich hörbar. Zudem wird sie bei fast allen Songs des Albums als Autorin oder mindestens Co-Autorin geführt.

"Frank" war ein stimmungsvolles Popalbum, dass sich explizit, aber mit viel Fingerspitzengefühl auf große Vorbilder des Soul, Jazz und R'n'B berief von Roy Ayers, Carole King, Count Basie, Duke Ellington, Nat Cole, Tony Bennett, Ray Charles und Frank Sinatra bis Stevie Wonder, Quincy Jones, Salt'n'Pepa und D'Angelo. Es fehlten zwar ein paar wirklich große Songs, aber die Nominierung für den hochangesehenen Mercury Prize überraschte nur die, die sie noch nicht kannten.

Es war schließlich alles da, eine große Pop-Altstimme, kompositorisches Talent und eine charismatische Erscheinung mit offensichtlichem Pop-Appeal. Ganz abgesehen davon, dass sie bei der Veröffentlichung ihres Debüts gerade einmal 19 Jahre alt war. Kommerziell blieb der Durchbruch zunächst jedoch noch aus. "Take The Box", die erfolgreichste Single des Albums, schaffte es gerade einmal auf Platz 57 der britischen Charts. In den Albumcharts 2004 steht "Frank" am Ende auf Platz 102.

Die Wende zum ganz großen Erfolg beginnt mit Winehouses Entscheidung, die seit 1996 bestehende beste Retro-Funk-Soul Band des Planeten als Tour-Band zu engagieren, die New Yorker Dap Kings. Zwei Demo-Aufnahmen ihrer beiden neuen Songs "You Know I'm No Good" and "Rehab" landen schließlich in der Show des britischen DJs und Musikers Mark Ronson auf East Village Radio.

Gemeinsam mit Salaam Remi produziert er 2006 das zweite Album "Back To Black" kongenial. Es verkauft sich bis heute weltweit zehn Millionen Mal und gewinnt 2008 fünf Grammys, darunter den wichtigsten für die Beste Aufnahme des Jahres, und erreicht in allen großen Popnationen den ersten Platz der Album-Charts.

Die Geburt eines Pop-Superstars

Ein neuer Pop-Superstar ist geboren und der Retro-Soul das große neue Ding. Die Sängerinnen Duffy und Adele reiten die Welle bis heute höchst erfolgreich auf dem Trittbrett. An das Vorbild reichen sie nicht heran. Vor allem fehlt ihnen offenbar die künstlerische Konsequenz und Durchsetzungskraft von Amy Winehouse. Was "Back To Black" letztlich so erstaunlich macht, ist das kompromisslose Sounddesign. Die rumpeligen Instrumental-Arrangements - an sechs der elf Titel sind die Dap Kings maßgeblich beteiligt - scheren sich kein bisschen um moderne Hörgewohnheiten, ohne dabei allerdings verstaubt zu klingen.

Die Songs sind raffiniert, aber auch so druckvoll und ökonomisch wie Winehouses Stimme. Vor allem aber sind diesmal echte Hits dabei. Und zwar mindestens fünf: nicht nur "Rehab", sondern auch "You Know I'm No Good", "Back To Black", "Love Is A Losing Game" und "Tears Dry On Their Own". Neu im eigentlichen Sinne ist daran natürlich nichts, es ist aber auf so clevere Weise alt, das man sich der schieren Klasse dieser Musik kaum entziehen kann.

Bei Konzerten konnte Amy Winehouse lange noch so abwesend wirken, ihre Stimme war auf fast unheimlich Weise anwesend, die Präsenz ihrer Performance war atemraubend. So oder so wäre es nicht leicht geworden diesen Ruhm noch zu mehren. Ein ähnlich gutes Album zu produzieren, wäre sehr, sehr schwer geworden. Und dann wäre es doch "nur" so gut gewesen wie der Vorgänger. Und um sich ganz neu zu erfinden, hätte sie wohl sehr viel mehr Kraft gebraucht, als ihr ihr Lebenswandel am Ende übrig ließ.

Ob sie auch diesen Druck gespürt haben mag? Unwahrscheinlich ist das bei einer künstlerischen Begabung wie dieser nicht. Über den der Öffentlichkeit jedenfalls wusste sie genauer Bescheid als mancher, der sie jetzt zum reinen Opfer der Verhältnisse stilisieren will, zuzugeben bereit ist. Sie fütterte das Publikum, das lüsterne Monster, regelmäßig und kokettierte gern damit, dass alles stimme, was über sie in der Presse verbreitet werde.

Sie dürfte allerdings unterschätzt haben, was Sätze wie die des britischen Star-PR-Agenten Max Clifford bedeuteten: "Amy Winehouse mit Drogen ist ein größerer Star als Amy Winehouse ohne Drogen. Es mag pervers sein, doch Tatsache ist: Für Rockstars wie Amy ist schlechte Publicity immer auch gute Publicity. Wäre sie süß und unschuldig, würden sich weit weniger Menschen für sie interessieren. So sieht die Realität aus - leider."

Wir Übrigen können ja mal überlegen, was diese so mitfühlend-aufgeklärten Zeilen über uns erzählen. Sie erschienen 2008 in der Bunten. Einer Zeitschrift, für deren Auflage ein Schicksal wie das von Amy Winehouse ein echter Glücksfall ist.

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