Im Sommer 2015 ist Deutschland mal wieder ein geteiltes Land, auch im Internet. Auf der einen Seite die Menschen, die halbwegs klar im Kopf sind, auf der anderen all jene Man-wird-doch-noch-sagen-Dürfer, die auf Blogs, Twitter und Facebook gegen Flüchtlinge und Schwächere im Allgemeinen hetzen.
Wenn Panorama-Moderatorin Anja Reschke deshalb einen Aufstand der Anständigen in den sozialen Medien fordert, hat sie natürlich recht, übersieht aber einen wesentlichen Mechanismus im Internet: Aufmerksamkeit ist im Netz die wertvollste Währung. Im Internet, schreibt Tim Hwang in The Atlantic, sei jeder Klick, jeder Link auch eine moralische Entscheidung. "Aufmerksamkeit zu gewähren, kann ein Akt der Mittäterschaft sein."
Eines der übelsten Foren in den USA ist das ultraliberale Link-Portal Reddit. Unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit wird hier gegen Afroamerikaner, Frauen, Homosexuelle oder Übergewichtige gehetzt. Am naheliegendsten wäre nun, so Hwang, ebenfalls auf Reddit ein Forum zu gründen, auf dem man gegen die Unverbesserlichen anschreibt. Doch mit dem eigenen Engagement bestärkt man nur das System. In der Aufmerksamkeitsökonomie des Internet werde "jeder Page-View prompt zu einem Bruchteil eines Dollars, der benutzt wird, einen Server zu betreiben, von dem Hass ins Netz gespeist wird".
Bloßes Ignorieren ist aber auch keine Lösung, denn man will und soll den Hetzern im Netz ja entgegentreten. Gleichzeitig gilt es zu verhindern, dass sie von der Negativ-Aufmerksamkeit profitieren. Ihre Sichtbarkeit muss anderweitig minimiert werden.
Es geht also darum, neue Formen des Boykotts zu finden. Eine Lösung wäre der Service, den die Website donotlink.com anbietet. Die Überlegung geht folgendermaßen: Wer einen Link zu einer Hasstirade setzt, um auf den Schmutz aufmerksam zu machen, sorgt letztendlich dafür, dass die Seite populärer wird. Denn in der tumben Logik der Suchmaschinen bedeuten mehr Links auch mehr Relevanz, die Seite steigt in den Suchergebnissen nach oben. Wenn man den entsprechenden Link aber auf Donotlink einfügt, generiert der Dienst eine URL, die von den Suchmaschinen nicht erkannt wird. Man erzeugt Aufmerksamkeit, ohne Aufmerksamkeit zu erzeugen.
Eine andere Form des Nutzerprotests ist dagegen sehr alt: die Zensur. Browsererweiterungen wie Brandacted erlauben es schon längst, einzelne Begriffe auf Webseiten durch schwarze Balken zu ersetzen. Die Webseiten der Hetzer könnten also schon bald genauso ausgiebig geschwärzt sein, wie die Akten im NSA-Untersuchungsausschuss.
Auch nicht gerade subtil, aber trotzdem praktisch ist das systematische Blocken von Nutzern. Auf Twitter bietet der automatisierte "@TheBlockBot" eine Liste an, die die Twitter-Accounts von mehreren Tausend notorischen Gedankenschindern beinhaltet. Wer sich einträgt, bekommt deren Tweets nicht mehr zu sehen. Je mehr Menschen der Blockliste beitreten, desto eher geifern die Hass-Accounts ins Leere - allerdings, ohne es selbst zu merken.