Nachrichten aus dem Netz (59):Bildrätsel XY ungelöst

Das Internet als Ort des kollektiven Gedächtnisses? Web 2.0 macht's möglich und bietet eine Plattform für Erinnerungskult und Hobbyhistoriker. Manchmal tritt Erstaunliches zu Tage.

Niklas Hofmann

Jeder Form von Damnatio memoriae hat das World Wide Web wohl endgültig den Boden entzogen.

Nachrichten aus dem Netz (59): Geschichte verzweifelt gesucht: Ein Haus auf der Suche nach seiner Historie.

Geschichte verzweifelt gesucht: Ein Haus auf der Suche nach seiner Historie.

(Foto: Screenshot: einestages.spiegel.de)

Nach dem Spanischen Bürgerkrieg hatten die franquistischen Sieger kein Interesse daran, die Erinnerung an die Unterlegenen am Leben zu erhalten. So verstaubten im Archiv von Francos Ministerium für Tourismus und Information tausende, im Auftrag der republikanischen Regierung entstandene Kriegsfotografien.

Das spanische Kulturministerium hat jetzt mehr als 3000 dieser Fotos im Internet zugänglich gemacht. Das Archivo Rojo, nach einem republikanischen General jener Zeit benannt, umfasst überwiegend Aufnahmen der Verteidigung Madrids - beeindruckende Dokumente des Elends, aber auch des Alltags einer belagerten Stadt. Die Nutzer sollen über ein Online-Formular alles nachtragen, was ihnen über Personen, Orte und Ereignisse bekannt ist.

Viele Archive beschreiten ähnliche Wege. Das Gedenkbuch mit den Namen von fast 160 000 während der NS-Zeit deportierten Juden, vor mehr als 20 Jahren vom Bundesarchiv zusammengestellt und seither mehrfach erweitert, ist ebenfalls online zugänglich - samt Formular für Nachträge zu biographischen Daten einzelner Shoah-Opfer.

Meist populäreren Zwecken dient das zu Spiegel Online gehörende Zeitgeschichtsportal Einestages.de, wenn es seine Leser um sachdienliche Hinweise bittet.

"Fundbüro" nennt sich die Rubrik, unter der Nutzer Fotos unklaren Inhalts diskutieren können. Aber nicht nur Wissenswertes zur Holzschnitzschule in Bad Warmbrunn wird dort erforscht, sondern etwa auch der Verbleib eines Liebermann-Gemäldes, das auf einem Vorkriegsfoto im Wohnzimmer einer jüdischen Bankiersfamilie zu sehen ist - bislang ergebnislos.

Sehr aktiv im Netz ist die Library of Congress in Washington, die mit ihrem Bildarchiv seit Jahresanfang in der Fotocommunity Flickr vertreten ist. Die User sollen der Bibliothek helfen, frei nutzbare Bilder besser recherchierbar zu machen und sie mit griffigeren "Tags", also Schlagwörtern, zu versehen, als dies einst nüchterne Bibliothekare taten.

Aber auch die Library setzt auf das Wissen der Nutzer - etwa über viele hunderte Fotografien, die nur unzureichend etikettiert wurden. Inzwischen haben sich auch das Brooklyn Museum und die Smithsonian Institution dem Flickr-Projekt "The Commons" angeschlossen - Anfang 2008 wurde die Kongressbibliothek prompt darauf gestoßen, dass sie Fotografien von Abraham Lincolns zweiter Amtseinführung (1865) besitzt.

Ungenau beschriftet, waren sie einst Ulysses S. Grant zugeordnet worden. Über Jahrzehnte bemerkte niemand die falsche Bezeichnung. Ohne Online-Archiv wäre das wohl auch noch lange so geblieben.

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