Süddeutsche Zeitung

Nachrichten aus dem Netz (72):Gewinner und Verlierer

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Laptops, Blogs und Onlineklatsch: Der erste interaktive US-Präsidentschaftswahlkampf verhalf manchen im Internet zu neuem Ruhm, andere riss er in den Abgrund.

Niklas Hofmann

Die McCain-Kampagne kam mit dem fundamental veränderten Publikationsverhalten der mitreisenden Reporter im nun zu Ende gehenden Wahlkampf nie wirklich gut zurecht. Der Journalist Robert Draper berichtet, wie befremdet der Kandidat war: "John McCain sagt irgendwas, aber anstatt Nachfragen zu stellen, hasten alle zu ihren Laptops und posten auf ihren Blogs."

Der erste US-Präsidentschaftswahlkampf in der Blütezeit der Blogosphäre hat seine Gewinner und Verlierer hervorgebracht. Zu ersteren zählt sicher Nate Silver, der Statistik-Freak, der seit dem Frühjahr auf seiner Seite FiveThirtyEight.com alle verfügbaren Umfragen in sein selbst entwickeltes Rechenmodell einspeist und aufgrund demografischer Daten gewichtet.

Sollte sein Modell am Dienstag nicht völlig versagen, führt an Silver in den nächsten Wahlkämpfen kein Weg vorbei. Schon jetzt waren seine Analysen, wie die Übersichtsgrafiken der konkurrierenden Seite Pollster.com, in politischen US-Blogs allgegenwärtig. Halb beeindruckt, halb spöttisch stellte der altgediente Blogger Mickey Kaus nach einer Halloween-Party in Los Angeles fest: "Das ist vielleicht die erste Wahl, bei der ganz normale, ihre Tage mit Surfen im Web vertrödelnde, linke Comedy-Autoren mehr über die letzte Umfrage von 'Insider Advantage' aus Pennsylvania wissen als Howard Fineman, der Newsweek-Kolumnist."

Als großer Verlierer der Wahl steht dagegen für viele Beobachter der einstige König des Internetklatschs, Matt Drudge fest. Seit sein Drudge Report 1998 die Lewinsky-Affäre anheizte, waren seine Fähigkeiten gefürchtet, mit dramatischen Schlagzeilen die Agenda der 24-Stunden-Kabelnachrichten zu diktieren. 2004 war es der konservative Drudge, der die für John Kerry so verheerenden Spots der Swift Boat Veterans for Truth zum Thema machte.

Doch dieses Jahr rang er vergeblich darum, ein Ereignis wie den (vorgetäuschten) Überfall auf eine republikanische Wahlkampfhelferin zur "Oktober-Überraschung" hochzujazzen, die die Dynamik des Rennens zu Gunsten McCains drehen könnte. Auch die meistgelesene Politikseite ist der Drudge Report nicht mehr. Im September überholten ihn die Huffington Post und das Magazin Politico bei den Besucherzahlen.

Ein weiterer Verlierer ist der Sammelblog der National Review Online (NRO), die mit tüchtig ramponiertem Ruf aus dem Wahlkampf hervorgeht. Unter ihrem im Februar verstorbenen Gründer William F. Buckley, jr. stand sie jahrzehntelang für einen schneidend intellektuellen Konservatismus. Doch vor allem die Internetseite unter ihrer Chefin Kathryn Jean Lopez ("K-Lo") wandelte sich dieses Jahr zur Wagenburg unbeirrbarer Sarah-Palin-Fans.

Nachdenkliche NRO-Autoren wie Kathleen Parker, die sich deutlich gegen Palin positioniert hatte, mussten sich von K-Lo anhören, ihre Texte seien "peinlich und empörend". Und Christopher Buckley, der Sohn des Magazingründers, verlor wegen Palin-Verachtung seine Kolumne. Unklar, ob der frühere Bush-Redenschreiber und scharfe Palin-Kritiker David Frum einer solchen Säuberungsaktion entgeht, erklärte er doch am Samstag, dass er John McCain wählen werde, vor Obama aber - und das reicht bei NRO zur Kontroverse - keine Angst habe.

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SZ vom 03.11.2008/cag
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