Nachrichten aus dem Netz (60):Hier kommt die Online-Bürgerwehr

Barack Obama nutzt das Internet, um Spenden einzutreiben, John McCain bezeichnet sich als Computer-Analphabet. Und die Wähler? Sie bilden die fünfte Gewalt und formieren sich zur Glasfaser-Koalition.

Tobias Moorstedt

Im US-Wahlkampf inszenieren die Kandidaten ihre Werte gerne mit Konsumgütern, mit Anstecknadeln, der Menü-Auswahl oder dem Fuhrpark. Im Jahr 2008 aber ist der Computer zur symbolisch am stärksten aufgeladenen Kommodität geworden.

Nachrichten aus dem Netz (60): Findet das Telefon zum Schnarchen: Barack Obama chattet und surft lieber.

Findet das Telefon zum Schnarchen: Barack Obama chattet und surft lieber.

(Foto: Foto: AP)

Barack Obama ist laut Aussagen seiner Assistenten regelrecht süchtig nach dem Blackberry, und nutzt sein Apple-Laptop, um Sportereignisse zu verfolgen und mit seinen Töchtern zu kommunizieren. John McCain bezeichnete sich in einem Interview als Computer-Analphabet, der sich beim Schreiben seiner E-Mails von seiner Frau helfen lasse.

Barack Obama dagegen beherrscht das Internet. Über sein Webseite sammelte er bislang mehr als 200 Millionen Dollar. Im Juni zählten Suchmaschinen mehr als doppelt so viele Blog-Einträge für Obama wie für McCain, die Webseite des demokratischen Präsidentschaftskandidaten hatte 2,3 Millionen sogenannten "Unique Visitors", viermal so viele wie McCains Seite.

Patrick Ruffini, ein konservativer Internet-Experte, erklärt die Schwäche der Konservativen im Netz nicht nur mit dem fortgeschrittenen Alter von Kandidat und Zielgruppe, sondern auch mit einer mentalen Inkompatibilität: "Republikaner sind Control-Freaks. Im Internet aber muss man die Menschen die Arbeit machen lassen." Und die Folgen ertragen.

Ein erster Konflikt zwischen Obama und den Netroots, der politisch engagierten Netzgemeinde, entzündete sich soeben an der Senatsabstimmung über den "Foreign Intelligence Surveillance Act" (FISA), ein Gesetz, das es der Exekutive erlaubt, Telefongespräche, E-Mail-Kommunikation und andere Datentransfers zu überwachen.

Obama hatte angekündigt, im Interesse der nationalen Sicherheit für den Lauschangriff zu stimmen. Prompt formierte sich auf mybarackobama.com eine Gruppe mit dem Namen "Please vote no", die in einer Woche auf mehr als 40 000 Mitglieder anwuchs. Das Ja des Kandidaten konnten sie dann aber doch nicht verhindern.

Das Beispiel zeigt allerdings, dass eine offene Plattform wie mybarackobama.com neben Geld und Energie auch Widerstände und Friktionen produzieren kann. Obama musste lernen, dass die Netroots eigenwillig sind und sich im Konfliktfall nicht scheuen, gegen ihren eigenen Kandidaten zu agitieren.

Die Kampagne "Get FISA Right" produzierte seltsame Allianzen: Anhänger des konservativen Kandidaten Ron Paul sammelten mit der linken Blog-Community von Firedoglake und Dailykos eine "Money Bomb", mehrere Hunderttausend Dollar, und stellten in wenigen Tagen und ohne jegliche Kosten eine politische Bewegung auf die Beine.

Auch das gehört zur Zukunft der vernetzten Politik: Menschen, die sich über Glasfaserkabel und iPhone zu Ad-Hoc-Koalitionen zusammenschließen und versuchen, Legislative und Exekutive zu beeinflussen. Eine Art fünfte Gewalt: die Online-Bürgerwehr.

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