Süddeutsche Zeitung

Nachlass von Gunter Sachs:Jäger und Sammler

In London werden etwa 300 Kunstwerke aus dem Nachlass von Gunter Sachs versteigert, darunter viele Werke seines Freundes Andy Warhol. Aber auch ein Paneel von Roy Lichtenstein und Fetisch-Stühle von Allen Jones sind darunter.

Alexander Menden, London

Dass die Bürger Hamburgs 1972 keinen rechten Sinn für Zeitgenössische Kunst hatten, war ein Glück für Gunter Sachs. Das heißt, zunächst war es für ihn eher peinlich. Gerade hatte er seine Hamburger "Galerie an der Milchstraße" mit einer Werkschau seines Freundes Andy Warhol eröffnet. Die Leute kamen natürlich, schließlich war Sachs einer der wenigen Exponenten bundesdeutschen Glamours. Aber keiner wollte kaufen. Und so tat Sachs, was man eben tut, wenn man seine Freunde nicht enttäuschen will: Er erwarb heimlich annähernd ein Drittel der ausgestellten Werke selbst und meldete Warhol, die Vernissage sei ein toller Erfolg gewesen. Mitte der Neunziger, im Vorwort zu einem Ausstellungskatalog, dankte Sachs den Hamburgern für ihre Unwilligkeit: Die Arbeiten bildeten den Grundstock seiner Sammlung von Warhols, die er über die Jahre aufbaute.

Wenn an diesem Dienstag und Mittwoch im Londoner Auktionshaus Sotheby's rund 300 Werke aus Gunter Sachs' Kunstkollektion zum Aufruf kommen, werden die Warhols im Mittelpunkt stehen. Das liegt zum einen daran, dass frühe Arbeiten wie der Siebdruck "The Kiss" von 1964 mit einer Szene aus einem Dracula-Film mit Bela Lugosi sehr gesucht sind (die Schätzung liegt bei gut einer Million Euro). Zum anderen sind viele Stücke angereichert durch eine Geschichte, die in Geld nicht auszudrücken ist, ihren Marktwert aber steigern wird.

Warhols Brigitte-Bardot-Porträt zum Beispiel. Eine Ikone der Pop Art, begrüßt es den Besucher bei Sotheby's im Obergeschoss. Dieses Bild, 1974 von Sachs in einer Achterauflage bestellt, war eines der wenigen, die Warhol nach einer Vorlage fertigte, die nicht von ihm selbst stammte. Richard Avedon machte das Foto, auf dem das Porträt basiert, im Jahr 1959; ein Abzug steht in London ebenfalls zum Verkauf. Bedenkt man zudem, dass die Bardot nicht nur ein Filmstar, sondern auch die geschiedene Ehefrau des Auftraggebers war, bekommt man einen Eindruck von der Vielschichtigkeit der Pop-Art-Bezüge, aus denen sich die Aura dieser Schmollmund-Apotheose speist. Um die fünf Millionen Euro dürfte sie mindestens einbringen.

Als Gunter Sachs sich am 7. Mai 2011 in seinem Haus in Gstaad das Leben nahm, war seine Sammlertätigkeit den meisten Nachrufen nur einen Nebensatz wert. Doch spätestens beim Gang durch die Ausstellungsräume an der Bond Street zeigt sich, dass man es hier mit einem zwar eklektischen, aber ernstzunehmenden Sammler zu tun hat. Sachs erkannte beispielsweise früh die Qualitäten von Yves Klein und Lucio Fontana, dessen "Concetto Spaziale" von 1961 eines der schönsten Lose der Auktion ist.

Wie nur wenige seiner Zeitgenossen vereinte der Opel-Erbe Sinn für Qualität und Kaufkraft. Er behandelte die Künstler als Freunde und integrierte ihre Werke in seinen Lebensalltag. Das gilt besonders für das legendäre Pop-Art-Appartement, das er sich in den sechziger Jahren in St. Moritz einrichtete: Unter dem Waschbecken im sonst ganz in Schwarz und Rot gehaltenen Schlafzimmer prangte ein eigens bei Roy Lichtenstein bestelltes Emaille-Paneel; an der Tür war ein von Michelangelo Pistoletto gestalteter Spiegel angebracht. Dass Gunter Sachs durchaus bereit war, die Kunstwerke den Umständen entsprechend zu modifizieren, beweist nicht nur das Loch, das er in den Pistoletto bohren ließ, um eine Klinke anzubringen. Dass Tom Wesselmanns "Great American Nude #51" von 1963 mit gut zwei Millionen Euro überraschend niedrig taxiert ist, liegt wohl auch daran, dass Sachs von dem 3,7 mal drei Meter großen Bild unten kurzerhand ein Stück absäbelte, damit es an seine Wand passte.

Seiner bekannten Vorliebe für statueske Frauen frönte Sachs auch sonst in seiner Kunstauswahl: Die Fetisch-Stühle von Allen Jones, deren Basis halbnackte Fiberglas-Mannequins bilden, standen ebenfalls im berüchtigten St. Moritzer Schlafzimmer. Dass er gerade in diesem Motivbereich manchmal geschmacklich ziemlich danebenlag - Jean-Gabriel Domergues Blondinen-Akt etwa wirkt, als habe ihn ein Straßenkarikaturist in Mallorca gemalt - verstärkt nur den Eindruck eigenwilligen Charmes, den die ganze Sammlung ausstrahlt.

Sachs selbst hat seine Sammlertätigkeit mit charakteristischer Nonchalance kommentiert: Sein Status als Kunstsammler sei ihm eigentlich erst bewusst geworden, "als an meinen Wänden kein Platz mehr frei war".

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1363201
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 22.05.2012/cag
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.