Süddeutsche Zeitung

Nachlass von August Wilhelm Iffland:Kaufleute im Theater

Überraschend ist das seit Kriegsende verschollene Korrespondenzarchiv des Dramatikers August Wilhelm Iffland aufgetaucht - eine einzigartige Quelle der Theater- und Kulturgeschichte. Aber wo waren die 34 Bände all die Jahre? Wurden sie gestohlen, unterschlagen oder als herrenloses Gut gefunden?

Von Lothar Müller und Stephan Speicher

Auf dem Katalog der Antiquariatsmesse Ludwigsburg, die vom 23. Januar bis zum 25. Januar stattfinden wird, leuchtet in roter Farbe ein Stempel "Zensiert", und mit einer empfindlichen Einschränkung wird die Messe beginnen. Ein Hauptstück des Angebots, das "Korrespondenzarchiv Ifflands", von den Antiquariaten Inlibris (Wien) und Kotte (Roßhaupten) für 450.000 Euro zum Verkauf gestellt, ist zurückgezogen worden.

August Wilhelm Iffland war von 1796 bis 1814 Intendant des Königlichen Nationaltheaters, das unter seiner Leitung zu einer der wichtigsten Bühnen des deutschen Sprachraums wurde. Das Korrespondenzarchiv, das dazu Auskünfte gibt, war seit Jahrzehnten verschollen, dass es wieder aufgetaucht ist, darf als Sensation bezeichnet werden.

Zwar fehlen unter den Briefschreibern die ganz großen Namen der Weimarer Klassik, denn die Briefe Goethes und Schillers sind dem Konvolut lange schon entnommen worden (allein ein Schreiben Goethe findet sich noch), aber immerhin sind Briefe August Wilhelm Schlegels und die ausführliche Korrespondenz mit dem Erfolgsdramatiker August von Kotzebue dabei. Erhalten ist zudem ein großer Bestand an Publikumszuschriften, Briefen von Beamten, Kaufleuten und Gelehrten. Als Autographen dürften diese Zuschriften nur knapp bezahlt werden, aber sie sind für eine Sozial- und Geschmacksgeschichte des Theaters dieser Zeit von unschätzbarem Wert. Gleiches dürfte auch für die Schriftstücke zum Innenleben des Theaters gelten. Zwar stand das Schauspielhaus in der Forschung lange Zeit im Schatten des Weimarer Theaters, aber die Uraufführung des "Wilhelm Tell" fand nicht in Weimar, sondern in Berlin statt, ja, man kann sagen, dass der Theaterautor Schiller seinen europäischen Siegeszug von Berlin aus antrat.

Wie aber kommt nun eine solch prominente, bisher verschollen geglaubte Dokumentensammlung, mit rund 6000 Schriftstücken in 34 Bänden, plötzlich in den Handel und damit ins Licht der Öffentlichkeit? Und warum wird sie zurückgezogen, kaum dass sie angeboten wurde? Es ist eine weit zurückreichende, rätselhafte Geschichte, die ihres Endes noch harrt.

Das Korrespondenzarchiv Ifflands gehörte zu den Beständen der Preußischen Staatstheater, die in der Zwischenkriegszeit ein Theatermuseum gründeten. In dieses Museum dürfte auch das Korrespondenzarchiv abgegeben worden sein. Das Museum war zunächst behelfsmäßig untergebracht im Intendanzgebäude, 1937 aber in den Lynarfügel des Berliner Schlosses umgezogen. Spät erst wurden die Bestände ausgelagert, um sie vor den Bombenangriffen in Sicherheit zu bringen, deshalb fehlen Auslagerungsprotokolle. Auch Bestandskataloge sind offenbar nicht erarbeitet worden. Das Museum, abhängig von der Generalintendanz, war schlecht finanziert, es fehlte an Personal.

Wie die Auslagerung in den letzten Kriegsmonaten sich in größter Eile und nur notdürftig organisiert vollzog, so verlief auch die Bergung ungeordnet. Ein Teil war nach Hessen gelangt und kam über Umwege in die Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz. Was im sowjetischen Sektor Berlins aufgefunden wurde, gelangte zu einem Teil an die Staatsoper Unter den Linden als Teil der ehemaligen Preußischen Theater, von dort wurde es ans Archiv der Akademie der Künste weitergereicht. Vieles, was den Krieg überstand, ist in der Nachkriegszeit verloren gegangen.

Es gehörte sicher zum Problem des Theatermuseums, dass es keine eigene Rechtspersönlichkeit besaß, es war ein Teil der Preußischen Staatstheater. So war auch die Frage der Rechtsnachfolge nicht ganz klar. Das wird dafür gesorgt haben, dass sich niemand verpflichtet fühlte, wieder zusammenzutragen, was einmal zusammengehört hatte. Was wir über das Museum und seine Bestände wissen, das verdanken wir der Theaterwissenschaftlerin Ruth Freydank und ihrem Werk "Der Fall Berliner Theatermuseum" von 2011. Minutiös hat sie die Quellen aufgearbeitet und das erhaltene Material nachgewiesen, wie es derzeit in der Staatsbibliothek und im Geheimen Staatsarchiv (beide Stiftung Preußischer Kulturbesitz) sowie im Landesarchiv Berlin und im Märkischen Museum aufbewahrt wird.

In den Nachkriegsjahren umfassender Unordnung kommt Hugo Fetting ins Spiel, Jahrgang 1923, Theaterwissenschaftler und zeitweiliger Mitarbeiter an der Akademie der Künste der DDR. Er ist es, der dem Wiener Antiquariat Ende 2012 seine "Sammlung Fetting", darunter die Iffland-Korrespondenz verkauft hat. Er habe dafür, wie er der SZ gegenüber sagt, 50.000 Euro erhalten.

Fetting hatte zuvor vergeblich versucht, seine Dokumente dem Archiv der Berliner Akademie der Künste zu verkaufen. Die aber wollte ihm, so der Leiter des Archivs, Wolfgang Trautwein, allenfalls einen "Finderlohn" bezahlen. Hinter diese Formel verbirgt sich eine Regelung, die von Archiven bei der Übernahme von Dokumenten verwendet wird, bei denen der Verdacht naheliegt, es handele sich ohnehin um Eigentum einer öffentlichen Einrichtung.

Um einen solchen Fall scheint es sich hier zu handeln. Hugo Fetting allerdings stellt es gegenüber der SZ anders dar. Er habe die Korrespondenzbände im Mai oder Juni 1953 gefunden, auf einer Müllhalde an der Berliner Oberwallstraße, wo sich die Generalintendanz befunden hatte. Auch andere Archivalien hätten dort gelegen, so habe er beobachtet, dass ein zweiter Freund der Theatergeschichte die Personalakten zu Alexander Granach und Gustav Gründgens an sich genommen habe. Fetting also will herrenloses Gut an sich genommen und dadurch gerettet haben. Aber ist es wahrscheinlich, dass in der frühen DDR, die das klassische Erbe ins Zentrum der Kulturpolitik stellte, so sorglos mit einem Bestand umgegangen wurde, der direkte Verbindungslinien zwischen Berlin und Weimar aufzeigte?

Im Wiener Antiquariat Inlibris entstanden bei näherer Sichtung der angekauften "Sammlung Fetting" Zweifel daran, dass sich alle Sammlungsgegenstände tatsächlich Eigentum des Verkäufers gewesen waren. Daraus resultierten ab Anfang 2013 Verhandlungen zwischen dem Antiquariat und der Akademie der Künste in Berlin, die eine Sichtung des nun in Wien liegenden Materials durch den zuständigen Archivar einschlossen. Ergebnis war eine am 16. Oktober 2013 unterzeichnete Vereinbarung zwischen dem Akademiearchiv und Inlibris. Danach übergab das Wiener Antiquariat alle Bestände, an denen die Akademie ein Eigentumsrecht plausibel machen konnte, an deren Archiv.

Zugleich aber hielt der Punkt 2.6. der Vereinbarung ausdrücklich fest: "Die Akademie der Künste anerkennt das Eigentumsrecht von Inlibris an der Aktensammlung der Theaterdirektion unter Iffland am deutschen Nationaltheater Berlin". Damit, so Hugo Wetscherek von Inlibris, sah sich sein Haus berechtigt, die 34 Bände zum Verkauf anzubieten.

Der Vereinbarung zwischen Akademie und Inlibris war ein von der Akademie erstellter Provenienzvermerk vom 4. Oktober 2013 beigefügt, der erhebliche Zweifel daran erkennen ließ, dass der Verkäufer Hugo Fetting rechtmäßig über die Bestände verfügen konnte. Ausdrücklich wird eine Mitarbeiterin der Akademie zitiert, die sich daran erinnert, "dass die Iffland-Bände in einem Schrank in Hugo Fettings Arbeitszimmer aufbewahrt wurden und es keinen Zweifel gegeben habe, dass es sich dabei um eine Leihgabe aus der Staatsoper gehandelt habe, ob an die Akademie der Künste oder an Hugo Fetting persönlich, entzieht sich ihrer Kenntnis". Der Schlüsselsatz dieser Zeugin: "Es habe sich auf keinen Fall um den Privatbesitz Hugo Fettings gehandelt."

Nun tritt ein neuer Hauptdarsteller auf die Bühne: die Berliner Senatsverwaltung für Kultur. Sie hatte Wolfgang Trautwein, der Leiter des Akademie-Archivs, über den Vorgang informiert. Und hier war man Ende November 2013 nicht so einfach bereit, die Ansprüche auf das Iffland-Konvolut aufzugeben: Zwar, so ein Mitarbeiter der Senatsverwaltung gegenüber der SZ, habe die Akademie der Künste ihren Rechtsanspruch nicht nachweisen können, dennoch sei man sicher, es hier mit Eigentum des Landes zu tun zu haben.

Mit Schreiben vom 29. November 2013 teilte die Berliner Senatsverwaltung dem Wiener Antiquariat mit, sie habe "heute Strafanzeige gegen unbekannt sowie insbesondere gegen Herrn Dr. Hugo Fetting wegen aller in Betracht kommender Delikte gestellt". Zugleich ersuchte sie das Wiener Antiquariat, das Verkaufsangebot des Konvoluts für die Antiquaria in Ludwigsburg zurückzuziehen. Dem kam Inlibris umgehend nach. Gegenüber der SZ kündigte der Geschäftsführer Hugo Wetscherek an , man werde "bis zur vollständigen Provenienzklärung den Bestand nicht anbieten". Zugleich übergab er die Korrespondenzbände seiner Anwaltskanzlei. Der SZ gegenüber äußerte er sein Unverständnis, dass die Berliner Verwaltung nun, nach der mit der Akademie getroffenen Vereinbarung, plötzlich so massiv tätig geworden sei. Die Senatskanzlei wiederum zeigt sich "zuversichtlich", einen Anspruch auf Herausgabe durchsetzen zu können.

Es ist offenkundig, dass die Berliner Stellen hier nicht an einem Strang gezogen haben. So pocht der Wiener Antiquar jetzt gegenüber der Senatsverwaltung auf die mit der Akademie getroffene Vereinbarung. Zugleich fällt auf, dass die Vereinbarung selbst in dem ihr beigefügten Provenienzvermerk den Verkäufer sehr deutlich ins Zwielicht stellt. Wenn das aber so ist, warum hat dann die Akademie das Eigentumsrecht von Inlibris ausdrücklich anerkannt? Daraufhin befragt, sagt Wolfgang Trautwein, sein Haus habe bei einem Anwalt ein Gutachten in Auftrag gegeben, demzufolge ein Anspruch auf Herausgabe verjährt sei. Im übrigen gehörten die angebotenen Stücke an andere Stelle, sein Haus sammele vor allem zur Kunst ab 1900.

Es wäre ein Unglück, wenn das nun zum Glück wieder aufgetauchte Korrespondenzarchiv Ifflands durch den sich abzeichnenden Rechtsstreit lange unzugänglich bliebe, und es wäre ein großes Unglück, wenn es am Ende bei einem Privatsammler landen würde, der es unerreichbar für die Forschung machen könnte.

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SZ vom 07.01.2014/cag
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