"Nach der Revolution" im Kino:"Es ist noch zu früh"

"Nach der Revolution" Yousry Nasrallah

Bassem Samra als Mahmoud und Nahed El Sebaï als Fatma in "Nach der Revolution". 

(Foto: Polyband)

Es war ein Experiment. Der ägyptische Regisseur Yousry Nasrallah hat während des arabischen Frühlings in Kairo einen Spielfilm gedreht. Nun kommt "Nach der Revolution" in die deutschen Kinos. Ein Gespräch über Dreharbeiten mit offenem Ende, trügerische Bilder und die kritischen Reaktionen in Ägypten.

Von Irene Helmes

Reem (Menna Shalabi) gehört zur wohlhabenden Oberschicht von Kairo, redet gern und viel und engagiert sich für die Rechte von Frauen. Mahmoud (Bassem Samra) versucht seine Frau Fatma (Nahed El Sebaï) und die beiden Söhne als Reiter für Pyramiden-Touristen im Städtchen Nazlet El-Samman durchzubringen. Zwei Welten, die durch den ägyptischen Aufstand gegen Hosni Mubarak 2011 aufeinanderprallen. Denn Reem brennt für die Revolution, Mahmoud dagegen ist auf YouTube als einer der Reiter zu sehen, die in der sogenannten "Kamelschlacht" auf dem Tahrir-Platz gegen die Aufständischen losgehen. Beide nähern sich an und müssen in einer chaotischen Zeit Entscheidungen treffen.

Der ägyptische Regisseur Yousry Nasrallah ("On boys, girls, and the veil", "El Medina - die Stadt") mischt in "Nach der Revolution" Realität und Fiktion (hier zu sehen im Trailer). Die Geschichte entstand fast zeitgleich zu den Ereignissen des Aufstands und spielt zwischen Januar 2011 und dem sogenannten "Schwarzen Sonntag" des 9. Oktober 2011, an dem eine Demonstration blutig niedergeschlagen wurde und viele Hoffnungen auf Wandel platzten. Im vergangenen Jahr lief der Spielfilm im Offiziellen Wettbewerb der Filmfestspiele von Cannes, am 30. Mai kommt er in die deutschen Kinos.

SZ.de: In einem Interview haben Sie gesagt, die ägyptische Revolution ermögliche den Menschen, aber auch dem Kino, neue Fragen zu stellen. Welche Fragen stellen Sie mit "Nach der Revolution"?

Yousry Nasrallah: Wie ist unser Verhältnis zur Gegenwart? Wenn man in einer Denkart gefangen war, die auf einen Erlöser angewiesen ist, einen lieben Diktator oder so etwas. Und wenn sich den Ägyptern und Arabern insgesamt nun zeigt, dass es das nicht gibt. Wenn man Freiheit will, aber zugleich nicht gewohnt ist, sich selber in Frage zu stellen. Wenn die Mentalität war, sich als Opfer zu verstehen. Ich glaube, ein Individuum muss sich jetzt anders definieren. Wenn man sich vorstellt, dass die ganze Gesellschaft über die Autorität eines wie von Gott gewollt wirkenden Staates definiert war und das nun nicht funktioniert, stellt sich die Frage: Wie verhält man sich jetzt? Was ist ein Bürger? Noch dazu in einem Land mit so vielen verschiedenen ethnischen und konfessionellen Gruppen. Wir waren in der Revolution zum Teil sehr naiv. Unsere Ideale sind richtig, nur wie verwirklicht man all das, was man sich vorgenommen hat?

Sie haben außerdem gesagt, Sie glauben nicht daran, dass das Kino die Welt verändern könne. Was ist für Sie dann ein realistisches Ziel für Ihren Film?

Wenn man Geschichten erzählt, dann doch hauptsächlich, um Menschen zu trösten, oder? Damit die Albträume weniger fürchterlich sind.

Sie haben "Nach der Revolution" 2011 in weiten Teilen sehr spontan und jeweils in Reaktion auf aktuelle Ereignisse gedreht und weiterentwickelt. Wie lief das ab?

Ich hatte damals eigentlich einen anderen Film geplant. Als die Revolution ausbrach, bekam ich aber das Gefühl, unter diesen Umständen könnte ich ihn nicht drehen. Alle im Team waren von den Ereignissen völlig gefesselt. Also warum sollten diese Geschehnisse Feinde eines Films werden, warum sollte ich mich nicht stattdessen mit ihnen anfreunden und sie zum Teil eines Films machen? So haben wir die Geschichte von "Nach der Revolution" entwickelt. Und zugleich abgewartet, was geschah und wie das die Charaktere beeinflussen könnte. Wir haben im Mai begonnen und die Dreharbeiten im Januar 2012 abgeschlossen. Mit vielen Unterbrechungen und ohne festen Drehplan. Wir haben gedreht, wieder gewartet, mit den Schauspielern gearbeitet und mit den Bewohnern von Nazlet El-Samman. Und dann wieder gedreht.

Yousry Nasrallah "Nach der Revolution"

Yousry Nasrallah während der Dreharbeiten zu "Nach der Revolution". 

(Foto: Polyband)

Klingt kompliziert.

Die Schauspieler wollten natürlich immer wissen: Wie geht es aus? Für mich ist Kino aber etwas, das immer in der Gegenwart stattfindet, alles andere ist doch langweilig. Schwierig war es vor allem mit den Bewohnern von Nazlet El-Samman. Die waren ein bisschen paranoid am Anfang und dachten, das werde ein Film, der sie als Gegner der Revolution beschuldigt. Aber das war für mich nicht das Thema. Für mich ging es eher um Fragen der menschlichen Würde.

Fehlt im Film etwas, das Sie gerne gezeigt hätten - durch Zensur oder andere Gründe?

Die Zensurbehörden lagen lahm, während wir gedreht haben. Zensur kam diesmal von anderen. Es gibt zum Beispiel eine Szene, wo Reem und Fatma auf dem Tahrir-Platz sind. Als wir dafür mit dem Team angerückt sind, kam gleich die Frage: Habt ihr eine Genehmigung? Ich habe gefragt: Von wem denn? Und sie: Na, von der Polizei? Und das von Leuten, die sich als Revolutionäre bezeichnen! Natürlich kam es auch zu Streit mit Leuten, die glaubten, dass wir die Revolution ausbeuten wollen, um Geld zu machen, und solcher Quatsch. Die Hauptdarstellerinnen sind außerdem teils sehr aggressiv belästigt worden dort auf dem Platz.

"Viele hatten ein Loblied erwartet"

In Nazlet El-Samman gab es dagegen keine Probleme?

Nein. Nachdem sie verstanden hatten, worum es in diesem Film gehen sollte, gab es keine.

Ihr Film zeigt eine starke Klassengesellschaft, die durch die Ereignisse in Bewegung gerät. Inwieweit symbolisieren die Hauptfiguren die Gruppen der ägyptischen Gesellschaft?

Reem ist eine moderne Frau, ziemlich unabhängig, ein bisschen naiv, indem sie glaubt, sie könne ihre persönlichen Probleme durch Politik und eine Revolution lösen. Ein bisschen heuchlerisch auch, weil sie ihre Leidenschaft für Mahmoud mit der Revolution verdecken will. Mahmoud steht natürlich für die Ägypter, die ihr Leben von Tag zu Tag bestreiten müssen, die untere Mittelklasse. In der Revolution stellt sich die Frage nach der Rolle dieser Leute.

Yousry Nasrallah "Nach der Revolution" Kino

Menna Shalabi als Reem in "Nach der Revolution".

(Foto: Polyband)

"Nach der Revolution" scheint alles sein zu wollen: romantisch, sozialkritisch, politisch. An manchen Stellen wirkt er für einen Spielfilm sehr pädagogisch, etwa wenn Aktivistin Reem die Ziele der Revolution erklärt. Haben Sie sich etwas zu viel vorgenommen?

Nein, das finde ich nicht, und pädagogisch ist es auch nicht (lacht)! Das, was Sie pädagogisch nennen, ist nunmal Teil des Charakters der Figur Reem. Dass sie immer eine Antwort hat, das ist zugleich bezaubernd und sehr anstrengend an ihr. Mein Ziel war, das auch ironisch zu zeigen. Wir leben eben in einem Chaos - das ist das, was mich als Filmemacher am meisten reizt. Das Chaos der Gefühle, das Chaos der Politk, auch das Chaos dieser verrückten Stadt Kairo. So bin ich eben!

Wie waren die Reaktionen in Ägypten - zunächst auf die Produktion, dann auf den fertigen Film?

Sehr kritisch. Viele hatten ein Loblied auf die Revolution erwartet, etwas Euphorisches. Nicht unseren eher nüchternen Ansatz, der Fragen stellt. Manche haben uns auch vorgeworfen, es sei eine Apologie der Reiter der Kamelschlacht. Das ist aber nicht so. Es ist doch legitim zu fragen, warum Leute gegen die Revolution waren, die doch objektiv gesehen selbst Teil der Bewegung hätten sein müssen. Ein Revolutionär, der solche Fragen nicht stellt, soll zuhause bleiben. Ich glaube, es ist noch zu früh. Die Leute sind unglaublich parteiisch und emotional, wie in einer Oper, geradezu paranoid.

"Nach der Revolution" greift auch auf, wie trügerisch die Bilder sein können - etwa die Aufnahmen vom Tahrir-Platz auf YouTube, die fast das Leben des Reiters Mahmoud und seiner Familie zerstören.

Nicht nur das, das ganze Filmmaterial von der Kamelschlacht war der Hauptgrund für mich, "Nach der Revolution" zu drehen. Wir haben diese Bilder fast in einer Dauerschleife im Fernsehen gesehen damals. Und ich als Filmemacher muss zu meiner Schande gestehen, dass auch ich überzeugt war, dass die Reiter bewaffnet waren. Allerdings kannte ich die Leute aus der fraglichen Gegend von früheren Dreharbeiten und wusste, dass sie keine Werkzeuge des Regimes waren. Mein Hauptdarsteller Bassem Samra wohnt selbst dort und ich habe ihn gefragt: Was haben deine Freunde da gemacht? Er hat gesagt, sie seien nicht bewaffnet gewesen. Es hat sich gezeigt, sie waren nur mit Stöcken und Peitschen ausgerüstet, für sie war das eine große Parade. Dann habe ich mich gefragt, warum dieses Material ständig gezeigt wird. Doch eindeutig, um etwas anderes zu verdecken, die ganze Konterrevolution auf diese Leute zu reduzieren! Bis heute weiß man nicht, wer auf dem Tahrir-Platz oben auf den Dächern war und geschossen hat. Diese ganzen Fragen um die Bilder waren für mich eine Aufforderung, diesen Film zu drehen.

Fürchten Sie, der Film könnte in Deutschland und anderswo in Europa zu einer Zeit in die Kinos kommen, zu der das Interesse an der ägyptischen Revolution längst wieder abgeflaut ist?

Wenn man den Film als Fortsetzung der Medienberichterstattung sehen will, natürlich. Der Preis, den Film weniger als Film zu verkaufen, denn als Teil von politischen Ereignissen, ist natürlich hoch. Das war schon vergangenes Jahr in Cannes ein Problem für mich. Aber ich bin sicher, es kommt der Tag, an dem der Film als Film wirken kann.

"Baad el Mawkeaa", Regie: Yousry Nasrallah. Mit Menna Shalabi, Bassem Samra und Nahed El Sebaï, Frankreich / Ägypten 2012, ca. 122 Minuten. Verleih: Polyband.

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