Nach Anschlag auf Theaterensemble:Nazi Horror Picture Show

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"Sie haben die Falschen erwischt": Wie die Spaßgesellschaft in Halberstadt über rechtsradikale Schläger siegt und warum Theaterarbeit in Ostdeutschland so schwierig ist.

Peter Laudenbach

Es gibt in Halberstadt nicht nur Nazis, sondern zum Beispiel auch steppende Motorradrocker und Männer in Strapsen, die singen, sie seien "just sweet transvestites", also süße Transvestiten. Sie stehen auf der Freilichtbühne des Harzer Bergtheaters Thale und spielen vor einer romantischen Naturkulisse die "Rocky Horror Picture Show".

Schon wieder bei der Arbeit: Das Theaterensemble, eine Woche nach dem Überfall durch Nazis. (Foto: Foto: dpa)

Das lustige Trash-Musical aus den Siebzigern wirkt hier, tief in der ostdeutschen Provinz, nicht wie eine nostalgische Retro-Party, sondern noch fast taufrisch. Die Dorfjugend im Publikum kreischt vor Vergnügen und wirft, wie es sich bei diesem Anlass gehört, fröhlich Reis und Toilettenpapierrollen durch die Luft.

Es ist die erste Vorstellung seit vor einer Woche, in der Nacht nach der Premiere, fünf Schauspieler der Show auf der Straße von Neonazis zusammengeschlagen wurden. Vor Beginn der Aufführung halten Jugendliche ein Transparent in die Höhe ("Horror gegen Nazis"), plötzlich wirkt das harmlose Spektakel auf der Bühne wie ein kleiner Sieg von Pop, Spaßgesellschaft und gutgelauntem Hedonismus über die rechtsradikalen Schläger.

Der entblößte Hintern des singenden Transvestiten Frank-N-Furter löst hier nicht nur euphorisches Kreischen der Tennager-Girlies aus, er ist an diesem Abend ein wahrhaft leuchtendes Symbol für Toleranz, Demokratie, Lebensfreude und westliche Zivilisation.

Nirgends notwendiger

In der Kleinstadt in Sachsen-Anhalt, in der wie in vielen anderen ostdeutschen Orten in der Provinz, ein paar dutzend Skinheads versuchen, das öffentliche Klima zu dominieren, bekommt selbst das bonbonbunte Transvestiten-Musical eine politische Dimension. Deutlicher könnte die gesellschaftliche Bedeutung von Theater nicht sein - und das nicht nur, wenn die Bühnen Stücke über Jugendgewalt oder den Nationalsozialismus spielen. An Orten wie Halberstadt trägt jede Theateraufführung dazu bei, Skinheads nicht die kulturelle Hegemonie zu überlassen. Hier geht es nicht nur um Kunst, hier geht es im Kern um die Vitalität der Zivilgesellschaft. Nirgends könnte Theater derzeit notwendiger sein als in Halberstadt und ähnlichen ostdeutschen Kleinstädten.

"Eine Gesellschaft, die an der Kultur spart, entwickelt eine Unkultur, sie verroht", sagt Andreas Heller, Oberbürgermeister von Halberstadt. Weil seine Stadt wie viele Gemeinden in Sachsen-Anhalt hoffnungslose überschuldet ist, weiß er, dass sein Bekenntnis zum Theater nicht ganz unproblematisch ist: Um das Haus zu finanzieren, muss er an anderer Stelle seines überdehnten Haushalts sparen.

Derzeit versucht Heller die Fraktionen des Stadtrats davon zu überzeugen, die kommunalen Zuwendungen für das Nordharzer Städtebundtheater nicht wie vor zwei Jahren beschlossen, von einer Million auf 350 000 Euro jährlich abzusenken. Weil die anderen Träger des Theaters, die Nachbargemeinde Quedlinburg, der Kreis und das Bundesland, diese Absenkung nicht ausgleichen, sondern im Gegenteil, die Höhe ihrer eigenen Zuwendungen vom Engagement ihrer Partner abhängig machen, würde die geplante Einsparung das Ende des Theaters bedeuten.

Schon jetzt ist das Dreispartenhaus finanziell kümmerlich ausgestattet. Vor zwei Jahren wurde der Etat von zehn auf acht Millionen Euro gesenkt. Das Ensemble bespielt zwei große Bühnen in Halberstadt und Quedlinburg, versorgt die gesamte Region wie eine Landesbühne mit Theater und spielt auf elf Sommerbühnen - zum Beispiel im Bergtheater Thale. Insgesamt kommt das Theater auf 19 Premieren und 500 Vorstellungen im Jahr, ein rekordverdächtiger Output für ein armes Dreispartenhaus.

Seit der Etat-Kürzung verzichten die Mitarbeiter in einem Haustarifvertrag auf Tariferhöhungen, auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Um fünf von Einsparung bedrohte Stellen im Orchester zu retten, verzichteten die Orchestermusiker zusätzlich auf zehn Prozent ihrer Gage. Die Opernsänger, Orchestermusiker, Tänzer und Schauspieler verdienen nur selten viel mehr als die Mindestgage von 1550 Euro im Monat, die Höchstgage für langjährige Ensemblemitglieder, lauter stücktragende Protagonisten, liegt bei bescheidenen 2000 Euro brutto. Davon kann man auch in Halberstadt keine Familie ernähren.

Nachdem eine Woche lang dutzende Fernsehteams und unzählige Journalisten das kleine Theater in der kleinen Stadt belagert, Schauspieler im Krankenbett fotografiert und vom Intendanten bis zur Polizeipräsidentin jeden interviewt haben, erlebt das Publikum der "Rocky Horror Picture Show" auf der Freilichtbühne eine erstaunlich entspannte Vorstellung - auch wenn einer der Sänger von dem Überfall noch ein blaues Auge und geprellte Rippen hat, so dass er bei den Tanzeinlagen aussetzen muss.

"Die Falschen erwischt"

Einem der Tänzer fehlen Zähne, der Gitarrist der sauber rockenden Band hat eine gebrochene Nase - "aber für die Künstler war es wichtig, möglichst schnell wieder aufzutreten, auch um zu zeigen, das wir uns von den Nazis unser Theater nicht kaputt machen lassen", sagt André Bücker, Intendant des Nordharzer Städtebundtheaters über den Überfall auf seine Schauspieler.

"Unsere Kollegen wurden nicht zusammengeschlagen, weil sie Sänger und Tänzer sind, sondern weil sie am falschen Ort zur falschen Zeit waren. Solche Überfälle passieren hier öfter. Vor einigen Jahren wurden in Quedlinburg schon einmal Schauspieler unseres Theaters nachts auf der Straße von Nazis geschlagen. Jetzt wird etwas sichtbar. Die Nazis haben die Falschen erwischt: Wir können etwas öffentlich machen, was sonst viel zu oft nicht öffentlich wird." So wirkt Theater diesmal nicht auf der Bühne, sondern durch die Resonanz der Medien wie ein Vergrößerungsglas, unter dem gesellschaftliche Zustände mit brutaler Deutlichkeit klar und unmissverständlich zu besichtigen sind.

Jetzt will André Bücker am liebsten schnell zur normalen Arbeit zurückkehren - und möglichst gutes Theater machen. Auf den Skinhead-Überfall mit "jeder Menge Soli-Konzerte" zu reagieren, fände er falsch. "Schauspieler sind Künstler und nicht hauptberuflich Streetworker", sagt der 36-Jährige. Der Rückzug auf die Kernkompetenz hat nichts mit Wegducken zu tun, im Gegenteil. Bücker hat nur keine Lust, das Thema PR-technisch auszuschlachten.

"Sicher werden wir uns im Jugendtheaterclub und in der Theaterpädagogik sehr intensiv mit dem Thema beschäftigen. Und sicher werden wir Stücke spielen, in denen es um verwahrloste, orientierungslose Jugendliche geht." Im Oktober hat "Disco Pigs" in Quedlinburg Premiere - ein Stück, in dem es genau um diesen gefährlichen Mix aus Perspektivlosigkeit und Gewalt geht. "Wir sind alle ganz schön durch den Wind", sagt der Intendant eine Woche nach dem Überfall. "Die Unbefangenheit ging ein bisschen verloren. Gleichzeitig macht einen so eine Erfahrung wacher und kämpferischer."

© SZ vom 18.6.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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