Süddeutsche Zeitung

Myanmar:Drei Finger aus Hollywood

Bei Demonstrationen in Myanmar sieht man immer wieder die Grußgeste der "Tribute von Panem".

Von David Pfeifer

Wer die Nachrichten in diesen Tagen verfolgt, sonst aber eher keine Teeanger-Dramen im Kino ansieht, fragt sich vielleicht, was es mit dem Drei-Finger-Gruß der Protestierenden in Myanmar auf sich hat. Sie haben ihn übernommen von Demonstranten in Thailand, die ebenfalls gegen ihre autokratischen Machthaber auf die Straße gehen. Die Thailänder wiederum haben ihn aus dem Film "Die Tribute von Panem", der 2012 weltweit unter dem passenderen Titel "The Hunger Games" sehr erfolgreich in den Kinos lief.

Es geht darin um Jugendliche, die ihre Bezirke in einem Wettbewerb bis zum Tod vertreten müssen, der als Live-TV-Show übertragen wird. "Brot und Spiele" als Science-Fiction - topsolide als actionreicher Blockbuster inszeniert und mit guten Schauspielern besetzt. Donald Sutherland spielt beispielsweise den autokratisch regierenden Präsidenten Snow, der einem Unterling erklärt, warum es den Wettbewerb und einen Sieger geben muss, aber eben nur einen: "Ein bisschen Hoffnung ist nützlich, aber zu viel Hoffnung ist gefährlich."

Viel bedeutungsvoller wird es dann auch nicht, es ist eben ein Teenager-Drama, allerdings eines, in dem es andauernd um Leben und Tod in einer Diktatur geht, und an zwei Stellen im Film werden Zeige-, Ring- und Mittelfinger der rechten Hand als Symbol in die Höhe gestreckt. Es wird nicht ganz klar, wofür das Symbol stehen soll, einmal dient es als Geste der Solidarität der Unterjochten, beim zweiten Mal als Gruß der Hauptfigur, Katniss Everdeen, gespielt von Jennifer Lawrence. Daraufhin bricht in einem der Bezirke eine Revolte los. Nun kann man den Gruß also als Zeichen des stummen Widerstands werten oder als Aufruf zum Angriff auf die Staatsgewalt, gegen die Elite, die sich auf Kosten des Volkes bereichert, so wie es ja nicht nur in "Die Tribute von Panem", sondern auch in Myanmar der Fall ist.

Mit Harry Potter und Spider-Man in den Kampf um Leben und Tod

Aber vielleicht ist es ganz gut, dass es nur ein Symbol bleibt, unter dem sich die Beherrschten eher diffus gegen die Herrschenden vereinen, und dass Hollywood-Blockbuster solche Zeichen so im popkulturellen Alltag etabliert haben, dass sie wie eine Weltsprache ohne Worte funktionieren.

Denn es geht in Myanmar auch darum, Bilder zu produzieren, die reflexhaft Aufmerksamkeit erzeugen und den Rest der Welt ins Geschehen verwickeln, und sei es nur durch ein "Hast du gesehen?". Die Harry-Potter-Bezüge und Gummi-Enten in Thailand, der Drei-Finger-Gruß, auch die Spider-Man-Darsteller im Kostüm in Yangon, die durch Twitter gejagt wurden. Auf einem Schild fragten sie: "Hallo Marvel, braucht ihr einen neuen Thanos?" Sie vergleichen die Militär-Putschisten mehr oder minder augenzwinkernd mit dem bösesten und brutalsten Blockbuster-Bösewicht im bislang erfolgreichsten Film-Franchise - das versteht jeder Marvel-Fan sofort. Darunter verweisen sie auf die Twitter-Hashtags #SaveMyanmar und #CDM. Unter dem CDM-Kürzel versammelt sich das "Civil Disobedience Movement", der zivile Widerstand, dem sich nun auch Teile der Polizei angeschlossen haben. Bei aller leichtfüßigen Popkultur-Referenz darf man nicht vergessen, dass die Protestierenden in Myanmar sich tatsächlich in einer Situation befinden, in der es um Leben und Tod geht.

Vergangene Woche wurde eine Demonstrantin erschossen, und seit dem Wochenende gehen die militärischen Machthaber gezielt gegen die Bevölkerung vor und nutzen oder erlassen Gesetze, die ihr brutales Vorgehen legal wirken lassen sollen. Die Deutungsoffenheit der Filmreferenzen könnte also noch einen konkreten Nutzen haben: Vor Gericht kann man immer noch sagen, man habe nur drei Finger in die Luft gestreckt.

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