Alben der Woche:Um keine Palatschinkenlänge übertrieben

Die Wienerinnen von "My Ugly Clementine" beweisen, dass sie tatsächlich eine Supergroup sind und Morrissey nimmt seine Rolle als Lügenpresse-Baron mal wieder absolut ernst.

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My Ugly Clementine - "Vitamin C" (Ink Music/RoughTrade)

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Quelle: SZ

Als Piefke stutzt man erst einmal, wenn der Pressetext My Ugly Clementine als Supergroup ankündigt. Nach Wiener Maßstäben - und welche anderen wären gültig? - ist die Werbebezeichnung aber um keine Palatschinkenlänge übertrieben. Alle Musikerinnen sind seit Jahren im österreichischen Alternative-Pop unterwegs: Bassistin und Sängerin Sophie Lindinger als Teil von Leyya, Gitarristin Mira Lu Kovacs unter dem Projektnamen Schmiede Puls. Die neue Band spielte bereits kurz nach der Gründung als Vorband für AnnenMayKantereit. Ihr Debüt "Vitamin C" ist so fröhlich wie fein gearbeitet, gleitet stilsicher zwischen Melodien mit Popglanz und handfestem Indierock mit gelegentlichen Bluestupfern dahin. Genau richtig angeschmutzter Wohlklang prägt auch den Gesang, mitsamt Textzeilen zur Quarantäne: "It makes me sad to see a world driven by fear" heißt es da. Oder - fürs einsame Versacken zu Hause tröstlich - "I don't care if you wash you hair" im "Hairwashsong". Solange man die Hände wäscht! Der von Musikerinnen wie Courtney Barnett, Frankie Cosmos und zuletzt Soccer Mommy feministisch wiederbelebte Gitarrenindiepop hat endlich einen rundum satisfaktionsfähigen Beitrag aus Österreich. Übrigens rufen My Ugly Clementine aktuell auf Facebook dazu auf, fleißig Alben zu kaufen, möglichst auch als physische Tonträger, weil die Künstlerinnen derzeit unter der coronakrisenbedingten Absage sämtlicher Veranstaltungen leiden. Wir schließen uns diesem Appell an dieser Stelle gerne an!

Juliane Liebert

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Rustin Man - "Clockdust" (Domino)

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Quelle: SZ

Paul Webb, früher Bassist von Talk Talk, hat als Rustin Man gemeinsam mit Beth Gibbons vor achtzehn Jahren ein eigensinnig schönes Album vorgelegt. Es hieß "Out Of Season" und klang nicht weniger mysteriös als Gibbons' berühmte Band Portishead. Die gesamte Geschichte melodiöser populärer Musik schien aus ihm aufzusteigen, ohne etwas zurückzulassen als eine geheimnisvolle Wehmut. Danach veröffentlichte Rustin Man 17 Jahre keine neue LP. Im vergangenen Jahr erschien schließlich "Drift Code" und nun bereits "Clockdust". Es entstammt denselben Aufnahme-Sessions wie der Vorgänger und ähnelt ihm im Soundprofil stark. Das hier ein von Moden völlig unabhängiger Geist musiziert ist unüberhörbar wie eh und je. Bläser, Klavier und diverse Zupfinstrumente verschmelzen zu seltsamen Amalgamen; hübsche Folkgitarren wachsen in verwunschen schimmernde musikalische Verästelungen hinein.

Juliane Liebert

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Låpsley - "Through Water" (XL Recordings)

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Quelle: SZ

Irgendwo zwischen Elektropop und R'n'B steht Holly Låpsley Fletcher aus Liverpool, also dort, wo sich auch Songwriter wie James Blake herumtreiben. Låpsley begann bereits als Teenager Musik zu veröffentlichen, die Billie Eilish beeinflusst hat. Jetzt ist sie auch erst 23 und legt vier Jahre nach ihrem Debüt ihr zweites Album vor. In der Zwischenzeit hat sie unter anderem einen Kurs in Geburtshilfe absolviert. Was man eben so macht als junge Sängerin, die nach dem Sinn des Lebens sucht. "Through Water" ist ein homogenes, aber gar nicht langweiliges Album geworden. Immer wieder wird der Elektroteppich von unerwarteten Impulsen in Bewegung gesetzt. Da setzt in "Our Love Is A Garden" der ansonsten balladesk hallende Achtziger-Beat aus und stolpert dann super groovy wieder in den Song. Flöten wie aus dem Ambient-Paradies umperlen eine erdenwarme Synthie-Melodie im Zwischenspiel "Leeds Liverpool Canal". Låpsley verschmilzt so Synthie-Soul mit Art-Pop der Achtziger zu transparentem, zeitgenössischem Pop, der sich nicht anbiedern muss, um zu gefallen.

Juliane Liebert

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Morrissey - "I Am Not A Dog On A Chain" (BMG)

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Quelle: BMG

Frage: Darf man im Jahr 2020 noch Morrissey hören, obwohl er sich seit einigen Jahren mit Sprüchen und Aktionen als rechtspopulistischer Hanswurst aufspielt? Antwort: Ja, darf man natürlich. Man muss lediglich überlegen, wie weit man sein künstlerisches Projekt damit unterstützen will. Das insgesamt dreizehnte Soloalbum - nach der gloriosen Zeit als Sänger der Smiths in den 80ern - hat rein musikalisch durchaus große Momente: den Hit "Jim Jim Falls", ein Duett mit der legendären Soulsängerin Thelma Houston namens "Bobby, Don't You Think They Know?" oder die Country-Ballade "What Kind Of People Live In These Houses?". In anderen Stücken macht Morrissey wiederum peinlich klar, dass er die Rolle als märtyrerhafter Volksaufklärer und Lügenpresse-Baron absolut ernst nimmt. Die Trennung zwischen Kunst und Person, die viele seiner Fans oft einfordern, kann also nicht gelingen. Wer Morrissey anklickt, bestätigt so direkt oder indirekt sein identitätspolitisches Programm.

Joachim Hentschel

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Gordon Lightfoot - "Solo" (Warner Music)

Album 'Solo' von Gordon Lightfoot

Quelle: dpa

Doch auch schon wieder 46 Jahre her, dass Gordon Lightfoot seine letzte Nummer-Eins-Platte hatte. 1974 war das (Alben waren damals auch mal 42 Wochen in den Charts), das Werk hieß "Sundown", war weiterhin stilprägender Westcoast-Folk und der Kanadier hatte bei Veröffentlichung auch schon 16 Karrierejahre hinter sich. Wer "Solo" (Warner Music) hört, kann also ohne bösen Willen sagen, dass Lightfoot seit 62 Jahren dieselbe Musik macht. Aktuell eben komplett reduziert auf seine verwehte Stimme und eine akustische Gitarre. Andererseits hat der große, schamanenhafte Folk-Vogel Bob Dylan einst konstatiert, wann immer er einen Lightfoot-Song höre, wünsche er sich, dass er bis in alle Ewigkeit erklinge. Und was soll man sagen: Irgendwie gilt das bis heute.

Jakob Biazza

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My Ugly Clementine

Quelle: Hanna Fasching/Ink Music

Nach Wiener Maßstäben - und welche anderen wären gültig - ist My Ugly Clementine: eine Supergroup.

Alle Folgen der Alben der Woche gibt es hier.

© SZ.de/luch
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