Süddeutsche Zeitung

"My Old Lady" im Kino:Familiendrama auf den zweiten Blick

Beginnt wie eine Komödie, mündet in ein Kammerspiel: "My Old Lady" ist das Debüt des 75 Jahre alten Israel Horovitz. Der Dramatiker erzählt die Geschichte um eine vergangene Liebe so, wie es das Kino eigentlich nicht tut.

Von Susan Vahabzadeh

Ein Amerikaner in Paris, so leichtfüßig tänzelt Kevin Kline durch die ersten Szenen von "My Old Lady", als wäre diese Reise ein romantischer Trip, eine Erfüllung lang gehegter Träume. Er stromert durch die Straßen, auf der Suche nach einer bestimmten Adresse, und bleibt irgendwann vor einem wunderschönen Anwesen stehen, bei dem der Putz abblättert. Drin ein Innenhof, riesige alte Appartements, sein Weg führt ihn in ein zweistöckiges Haus, mit Garten, mitten in Paris.

Mathias ist am Ende, finanziell und emotional, und dieses Appartement ist das Einzige, was ihm sein Vater hinterlassen hat. Ein vergiftetes Erbe, wie sich herausstellt, in jeder Hinsicht - in dem Stück von Israel Horovitz, von ihm selbst verfilmt, geht es um lang verdrängte Traumata, um Wunden, die keiner vergessen kann.

Spätes Kino-Debüt von Israel Horovitz

Den Schlüssel zu dem Appartement hat Mathias von einem Anwalt bekommen, der ein kleines Detail nicht richtig erklärt hat - hier wohnt noch eine alte Dame, sie ist über neunzig, Mathilde (Maggie Smith), und solange sie lebt, kann Mathias nicht viel anfangen mit seiner Immobilie, ganz im Gegenteil: Der Vater hat sie nach einem alten französischen Recht "en viager" erworben, mit einer Umkehr-Hypothek. Das bedeutet, die alte Dame hat das Recht an der Wohnung, und er muss ihr noch ein paar Tausend Euro monatlich Leibrente zusätzlich bezahlen. Mathias ist verzweifelt - so verzweifelt, dass ihn Mathilde in einem leer stehenden Zimmer unterbringt.

Das wäre der Anfang einer Komödie, nur ist "My Old Lady" eben keine, eher ein Familiendrama auf den zweiten Blick. Der amerikanische Dramatiker Israel Horovitz hat das Stück geschrieben und damit, im Alter von 75 Jahren, ein spätes Kinodebüt gegeben, ohne die Manierismen, zu denen Theaterleute neigen, wenn sie endlich mit der Kamera herumspielen können. Er verlässt sich auf seine drei großartigen Hauptdarsteller - Kline, Smith und Kristin Scott-Thomas, die Mathildes streitbare Tochter spielt. Sie will den Eindringling erst einmal vertreiben, als würde sie ahnen, dass es gar nicht darum gehen wird, ob Mathias einen Käufer findet, der bereit ist, auf Mathildes baldigen Tod zu wetten. Mathias wird wieder zu trinken anfangen - was Kline und Horovitz daraus machen, ist hässlich. Und realistisch.

Da wird "My Old Lady" zum Kammerspiel, drei Menschen zermürben einander und sich selbst und fördern dabei kleine Mosaiksteinchen einer Vorgeschichte zutage: Mathilde und Mathias' Vater waren über lange Jahre Liebende. Jetzt läuft es normalerweise, im Kino, auf der Bühne und im richtigen Leben darauf hinaus, dass man Menschen, die mit den einen verheiratet waren und die anderen liebten, zutiefst bedauert. Es ist die Besonderheit dieses Stücks, dass Horovitz das nicht tut - er bekommt es hin, diese Geschichte zu erzählen, ohne moralisch zu werden. Und man ahnt dann doch, was das heißt: ohne Rücksicht auf Verluste.

My Old Lady, USA/F/GB 2014 - Regie und Buch: Israel Horovitz. Kamera: Michel Amathieu. Mit: Kevin Kline, Maggie Smith, Kristin Scott-Thomas. Verleih: Ascot Elite, 107 Minuten.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2235479
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 25.11.2014/mkoh
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.