"Mutter & Sohn" im Kino:Wolf im Pelzmantel

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Marschiert mit gleißender Gefühlskälte über Polizei, Justiz und Zeugen hinweg, um sie mit Geld ruhigzustellen: Luminita Gheorghiu als Mutter in Calin Peter Netzers Film "Mutter und Sohn". (Foto: X Verleih)

Mütter, die den Sohn in Beschlag nehmen, sind keine Seltenheit. Beunruhigend wird es, wenn der Sohn es geschehen lässt - wie in dem Familiendrama "Mutter & Sohn". Für sein Sittenbild des postsozialistischen Rumäniens bekam Călin Peter Netzer bei der diesjährigen Berlinale den Goldenen Bären.

Von Doris Kuhn

Die eine Hauptfigur des Films, den Endzwanziger Barbu, sieht man lange nicht. Was man sieht, ist Barbus Mutter Cornelia, erkennbar eine Frau der rumänischen Oberschicht. Von ihr erfährt man gleich mehr Details über den Sohn, als die durchschnittliche Höflichkeit verträgt.

Sie redet ausdauernd über ihn, sie klagt, er weise ihre Liebe ab, und spätestens wenn sie seine Putzfrau ausfragt, was er denn gerade liest, was er anzieht, was auf seinem Nachttisch liegt, versteht man, warum der Sohn ihr den Kontakt verwehrt. Aber noch sind die Grenzen intakt. Der Sohn hat eine Wohnung, eine Freundin, ein eigenes Leben.

Berlinale-Gewinner Călin Peter Netzer im Interview
:"Du musst Dich anpassen, um zu überleben"

Er ist der neueste Regie-Star des rumänischen Kinos: Călin Peter Netzer triumphierte mit seinem Familiendrama "Mutter und Sohn" bei der diesjährigen Berlinale, für das er den Goldenen Bären gewann. Heute kommt der Film in die deutschen Kinos. Ein Gespräch über den ungewöhnlichen Erfolg von Filmemachern aus Rumänien, Korruption - und eine Mutter als Monster.

Von Paul Katzenberger

Regisseur Călin Peter Netzer und seine grandiose Darstellerin Luminita Gheorghiu zeigen ohne Rücksicht, welche Mischung aus Druck, Schamlosigkeit und Korruption nötig ist, damit die Mutter ihre Kontrolle über den Sohn schließlich durchsetzen kann.

Aber allein darauf beschränkt Netzer sich nicht, obwohl das furchterregend genug wäre. Er seziert gleichzeitig die Verhältnisse im postsozialistischen Rumänien, wo ebenfalls Druck, Schamlosigkeit und Korruption nötig sind: Als Barbu durch grobe Fahrlässigkeit ein Kind überfährt und ihm eine hohe Strafe droht, sieht die Mutter ihre Chance.

Deprimierender Zustand einer Gesellschaft

Mit gleißender Gefühlskälte marschiert sie über Polizei, Justiz und Zeugen hinweg, genug Geld und Skrupellosigkeit unter dem ausladenden Pelzmantel, um alle damit ruhigzustellen.

Nur bei den Eltern des Kindes macht sie eine Ausnahme - und verteilt die Bestechung unter Tränen. Dem Sohn, zeitweise immerhin am Rand eines Gewissenskonflikts, bleibt der Erfolg dieser Vorgehensweise nicht verborgen. Călin Peter Netzer zeichnet also nicht nur die Auswüchse obsessiver Liebe nach, sondern er beschreibt auch den deprimierenden Zustand einer Gesellschaft, in der jeder Einzelne darauf setzt, dass er mit Geld weiterkommen wird als mit Moral.

Pozi ț ia copilului , Rumänien 2013 - Regie: Călin Peter Netzer. Buch: Răzvan Rădulescu , C. P. Netzer. Kamera: Andrei Butic ă . Mit Lumini ț a Gheorghiu, Bogdan Dumitrache. X-Verleih, 112 Minuten.

© SZ vom 29.05.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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