Mutmaßlicher Kriegsverbrecher:Mysteriöse Familienbande

Die Nachricht vom Tode des früheren KZ-Arztes Aribert Heim sorgt weiter für Wirbel: Was wusste sein Sohn davon? Immerhin hatte der noch bis vor kurzem behauptet, nicht zu wissen, wo sein Vater ist.

Willi Winkler

"Ehe und Familie", so garantiert es Art. 6 (1) des Grundgesetzes, "stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung". Die Familie gilt einerseits als Keimzelle des Staates, andererseits darf sich der Staat nicht in Familienangelegenheiten mischen.

Mutmaßlicher Kriegsverbrecher: Der Leiter des Simon Wiesenthal Centers in Jerusalem, Efraim Zuroff, zeigt Fotos von Aribert Heim in Buenos Aires.

Der Leiter des Simon Wiesenthal Centers in Jerusalem, Efraim Zuroff, zeigt Fotos von Aribert Heim in Buenos Aires.

(Foto: Foto: dpa)

Dafür gibt es gute Gründe: Der Bruder oder Vater eines Mörders oder Vergewaltigers mag für die Boulevardmedien von Interesse sein, juristisch hat er aber nichts mit den Taten und Untaten seines Verwandten zu tun und darf dafür nicht in Haftung genommen werden.

Am vergangenen Donnerstag konnten die New York Times und das ZDF eine Weltsensation melden: Der mutmaßliche Kriegsverbrecher Dr. Aribert Heim, der seit 1962 verschwunden war, lebe längst nicht mehr, sondern soll bereits im August 1992 gestorben sein. Der Flüchtige, auf dessen Ergreifung eine Belohnung von etwa 300.000 Euro ausgesetzt ist, war dem Bericht zufolge zum Islam übergetreten und lebte als Tarek Hussein Farid unbehelligt in einem der ärmeren Viertel Kairos.

Es war Rüdiger Heim, der 53-jährige Sohn des Gesuchten, der den Reportern Details aus dem Leben und Sterben seines Vaters mitteilte. In der ZDF-Mediathek im Internet finden sich zwei Stunden Interview mit Rüdiger Heim, in dem er erzählt, wie er 1976 oder 1977 (er ist sich nicht mehr sicher) den Kontakt mit dem Vater suchte und ihm dann in einer Hotellobby in Kairo gegenübertrat: der KZ-Arzt auf der Flucht und ein langhaariger Deutscher, der "Amerikaner und Hippie sein wollte".

Halbiertes Interview

Es ist ein bewegender Anblick, wie der Sohn in wohl abgewogenen Worten von seinem Interesse an dem abwesenden Vater berichtet, von dem ihm erzählt worden war, er lebe in Berlin, bis er durch Klassenkameraden erfahren habe, dass dieser Vater ein international gesuchter Menschenschinder sei.

Niemand wird dem Sohn das Mitgefühl versagen, wenn er von diesem "Schock-Treffen" erzählt und dann schildert, wie Aribert Heim unter großen Schmerzen litt und schließlich seinem Krebsleiden erlag. Der ehemalige KZ-Arzt wollte seinen Leichnam der Forschung zur Verfügung stellen, doch dann sei er anonym beerdigt worden.

Deutsche Fahnder bezweifeln das und wollen nun in Kairo recherchieren. Auch Efraim Zuroff vom Simon Wiesenthal Center kommt die Geschichte Rüdiger Heims "sehr seltsam" vor. "Sie werden deshalb verstehen, dass ich die Untersuchung im Fall Heim nicht beende."

Noch am 24. August 2008 hat Rüdiger Heim in einem Interview mit Bild am Sonntag behauptet: "Wenn er tot sein sollte, weiß ich auch nicht, wo er begraben liegt ...". Innerhalb der aktuellen Berichterstattung brachte bild.de einen Link auf dieses Interview, brach es aber unvermutet ab mit der Reporter-Frage: "Herr Heim, wissen Sie wo Ihr Vater ist?" Im Fernsehen heißt so etwas "Cliffhanger", der Moment, wenn die Handlung in einem entscheidenden Moment abbricht, damit die Zuschauer nächstes Mal wieder einschalten.

Auf Nachfrage erklärte Bild-Sprecher Tobias Fröhlich am Freitag, dass der zweite Teil des Interviews wegen einer einstweiligen Verfügung gesperrt sei. Wer die veranlasst hat, könne er nicht sagen, es sei nicht der Sohn gewesen. Rüdiger Heim habe das Interview autorisiert, seine Äußerungen seien so erschienen, wie er sie haben wollte.

"Er soll sich stellen"

Drei Stunden nach der Anfrage war das Gespräch plötzlich wiederhergestellt. Wer wollte, konnte also den leicht veralteten Schwur des jungen Heim lesen, mit dem dieser die Frage nach dem Aufenthaltsort seines Vaters beantwortete: "Ich würde es in die ganze Welt rausschreien, dass er sich stellen soll und auf die schrecklichen Vorwürfe antworten sollte."

Und die einstweilige Verfügung? Fröhlich sagte auf eine weitere Nachfrage, dass das Interview bereits im Oktober zur Hälfte gesperrt worden sei, obwohl es nur um eine kurze Passage ging - keine Aussage von Heim, sondern einen redaktionellen Einschub. In dem soll einer dritten Person ein Verwandtschaftsverhältnis zu Aribert Heim unterstellt worden sein. Weil der Fall nun wieder aktuell ist, habe man die Interviewhälfte wieder entsperrt. Bis auf besagten Einschub.

Dank seines Sohnes, dank treusorgender Familienmitglieder, die ihn offenbar über drei Jahrzehnte auch finanziell unterstützten, muss Dr. Aribert Heim sich nicht mehr stellen. Er, der nach Zeugenaussagen Häftlinge im KZ Mauthausen brutal misshandelte und tötete, bleibt verschont. Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz des Staates.

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