Musiktheater:Splitter aus Eis

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Die Sopranistin Barbara Hannigan und ihre Stimme haben den Komponisten Hans Abrahamsen wesentlich zu seiner ersten Oper "The Snow Queen" inspiriert. In München singt sie die Rolle der Schwester, die ihren Bruder vor dem frostigen Fluch der Schneekönigin retten will, zum ersten Mal. (Foto: Wilfried Hösl)

Die Bayerische Staatsoper bringt Hans Abrahamsens "The Snow Queen" heraus, als englischsprachige Erstaufführung. In der Rolle der Retterin: Barbara Hannigen

Von Egbert Tholl

Wer derzeit in den Abendstunden am Nationaltheater vorbeikommt, sieht das Gebäude vereisen. Nicht etwa, weil die Heizung kaputt wäre, sondern weil die Lichtgestalter von "Das Werk" die Fassade in eine Installation verwandeln, die entsteht und wieder verschwindet, alle sieben Minuten. Die Illusion von Eis überzieht den Stein, zerbricht und zerbröckelt und gibt Säulen und Portikus wieder frei, bevor alles von Neuem beginnt. Die Bayerische Staatsoper macht damit Werbung für das, was am Samstag im Inneren des Nationaltheaters stattfinden wird: die englischsprachige Erstaufführung von Hans Abrahamsens Oper "The Snow Queen".

Abrahamsen ist 66, und dies ist seine erste Oper. Für Stimme hat der freundliche, zarte Mann schon öfters komponiert, unter anderem den Zyklus "Let Me Tell You" für die Sopranistin Barbara Hannigen, deren Stimme er auch im Kopf hatte, als er die "Schneekönigin" schrieb. Die hatte am 13. Oktober ihre Uraufführung an der königlichen Oper von Kopenhagen, die das Stück auch in Auftrag gegeben hatte. Dort hieß es "Snedronningen", war auf Dänisch und Barbara Hannigan sang dort nicht, weil sie nur in Sprachen singt, die sie auch spricht. Am Samstag in München singt sie, denn dort, wie gesagt, findet die Oper auf Englisch statt, so wie es Abrahamsen eigentlich wollte.

Vor mehr als zehn Jahren komponierte Abrahamsen "Schnee", zehn Kanons für neun Instrumente, die das Ensemble Recherche für das Münchner Label Winter & Winter einspielte. Weit im Hintergrund dieser zarten Gebilde, die nun wirklich wie Schneekristalle wirken, steht als Inspiration Johann Sebastian Bach. Aber die engen Beziehungen der Kompositionen zueinander muss man sich weniger streng kontrapunktisch denken, sondern eher wie korrespondierende Haikus. Also auch Ausdruck einer sehr vorsichtigen Poesie.

Bei einer Orchesterbühnenprobe konnte man vor einigen Tagen erleben, wie aus so etwas Oper werden kann - Abrahamsen verwendet Momente aus dem Schnee-Material auch in der "Snow Queen". In der Probe also, geleitet vom sehr umsichtigen Dirigenten Cornelius Meister, dessen Haupttätigkeit die des Generalmusikdirektors der Stuttgarter Staatsoper ist, traf man auf die große Schönheit eines gebändigten, riesigen Orchesterapparats. Aber auch auf einen dramatischen Sog, auf hochtönendes Flirren, eine Anlehnung an Wagners "Fliegenden Holländer" und auf ein kluges, empathisches Rentier, das ebenso sang wie ein wandernder Baum. Vielleicht sollte man an dieser Stelle kurz sagen, worum es hier eigentlich geht.

Abrahamsen vertont ein Märchen von Hans Christian Andersen, eben "Die Schneekönigin". Es handelt von den beiden Nachbarskindern Gerda und Kay. Und auch ein bisschen von Trollen, die einst mit einem Spiegel die Engel foppen wollten, doch der Spiegel zerbrach und Millionen kleine Splitter flogen auf der Welt herum. Einen bekam Kay ins Auge und einen ins Herz, worauf seine Gefühle erkalteten und er von der Schneekönigin entführt wurde. Doch Gerda macht sich auf eine lange Reise, um Kay zu suchen und zu finden und zu befreien.

Gerda wird von Barbara Hannigan gesungen, die Schneekönigin ist ein Bass und Kay gibt es zwei Mal, singend (Rachael Wilson) und schauspielend (Thomas Gräßle). Und außerdem gibt es Tiere, Blumen, Engel, eine Uhr, eine Prinzessin, einen Prinzen und eine Großmutter, doch für Kinder ist das Stück nichts, auch wenn es drei Tage vor Weihnachten herauskommt. Mag das Libretto der literarischen Vorlage noch nah sein, so ist die Inszenierung von Andreas Kriegenburg eine erwachsene Sache, die sich auch damit beschäftigt, wie jemand "in der Gesellschaft so weit erkaltet, dass er sich in seine eigene, innere Schneelandschaft zurückzieht".

Die vergangenen zwei Jahre nutzte das Bayerische Staatsorchester auch zu einer Annäherung an Abrahamsens Musik, immer wieder wurden kleinere Werke von ihm aufgeführt. Der erste übrigens, der dessen musikdramaturgische Ader erspürte, war Hans Werner Henze, der von Abrahamsen ein Stück für seine erste Musiktheaterbiennale haben wollte - es hat dann doch ein bisschen länger gedauert. Abrahamsen ist äußerst penibel, und wenn er über seine Art zu komponieren spricht, hat man ein klein bisschen den Eindruck eines lächelnden, menschlichen Metronoms. Seine Musik ist ungeheuer kompliziert gebaut, klingt aber vordergründig gar nicht so. Die Unterstruktur ist äußerst komplex, so entsteht auch dieses irre Flirren. Cornelius Meister: "Warum ist es so kompliziert, wenn es so einfach klingt? Eben weil es kompliziert ist." Da kann dann auch Takt für Takt die Taktart wechseln. Oder das Tempo. Meister: "Man muss es auswendig können." Für ihn kein Problem, denn er dirigiert ohnehin meist auswendig.

© SZ vom 20.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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