Musiktheater:Sich verlieren, um sich zu finden

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Nikolaus Habjan und Franui zaubern ein wehes Glück

Von Egbert Tholl, München

Da kommt ein kleiner Mensch herein zu den Opernfestspielen, ganz unscheinbar. Das Orchester sitzt bereits auf dem Podium im Prinzregententheater, da schleicht er durch die vorderste Tür ins Parkett, ein kleiner Mann mit einem müden Gesicht, sehr freundlich guckt er, scheu. Er geht nicht allein, Nikolaus Habjan trägt seinen Koffer. Eigentlich trägt der scheue, kleine Mann den Koffer selbst, so weit ihm das möglich ist, ist er doch eine Puppe, und sein Arm, der den Koffer trägt, ist der eine von zwei Armen Habjans. Währenddessen einer eben den Koffer trägt, steckt der andere Arm in der Puppe selbst. Zu zweit gehen sie zu einem kleinen Tisch, packen den Koffer aus, darin ist eine weitere Puppe, kleiner noch. Sie steht auf dem Tisch und rührt sofort. Danach wird es nicht mehr viele Momente geben - es sei denn, Habjan will sie -, in denen man daran denkt, dass nicht die Puppen sprechen, sondern er.

Der Abend heißt "Doch bin ich nirgend, ach! zu Haus" und ist fabelhaft schön. Die Musicbanda Franui, aus dieser namentlich Markus Kraler und Andreas Schett, hat mit Habjan zusammen eine Synthese ihrer großen Kunst geschaffen. Das heißt, die wunderbarsten Musiker, die Osttirol zu bieten hat, spielen Lieder von Schubert, vor allem Schubert, ein bisschen auch Mahler, Brahms und Schumann. Manchmal singen sie, aber nicht viel, Habjan selbst Schuberts "Du bist die Ruh'", dessen Melodie er als Zugabe auch noch pfeifen wird. Beides, Gesang wie Pfeifen, erweichte einen Stein, wenn einer im Publikum säße; doch zu diesem Zeitpunkt starren alle längst völlig gebannt auf Habjan und die Musiker.

Verknappt gesagt: Die kleine Puppe ist Robert Walser. Walser, ein einsamer Wanderer im Gebirge und im erodierten wie zarten Innerem seiner selbst, spricht Walser, diese schweren Texte, an denen sich schon viele abgearbeitet haben ohne rechtes Ergebnis. Walser, die Puppe Habjans, tut sich da leichter, weil Physis und Sprechen ja getrennt sind, der warme, weiche Sprachgesang Habjans - dieser junge Mensch ist eine unfassbare Begabung - die Figur Walser umgibt mit leuchtender Aura. Wer sich finden will, muss sich erst verlieren, so das Vorhaben. Und vom Sichverlieren kündet die Musik Franuis eh.

In der Symbiose aus Text, Puppe und Musik entsteht der Eindruck, Schubert habe allein mit seinen Melodien Texte Robert Walsers vertont. Es ist nicht Schwermut, es ist das Wissen von Schwermut, dass hier den Tod auftreten und übers Sterben reden lässt. Mahlers "irdisches Leben" poltert mit Grandezza durch die Musik, Markus Rainer hat an der Trompete einen besonders glanzvollen Tag, seine Schwestern brechen einem an Harfe, Zither, Hackbrett das Herz, und alle miteinander möchte man danach lange umarmen.

© SZ vom 31.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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