Eines muss man Andreas Wiedermann einfach lassen: Wenn er mit dem fabelhaften Kollektiv Opera Incognita zusammen eine Opernaufführung macht, dann wird die groß und ungewöhnlich, ein Ereignis ist garantiert. Nun bespielt er zum dritten Mal die Damenschwimmhalle im Müllerschen Volksbad. Wiedermann hat einst das Bad als Opernspielort erfunden, die Münchner Biennale hat es dann auch einmal nachgemacht. Diesmal gibt es Brittens "The Rape of Lucrezia", und da diese Oper allein zwar knapp abendfüllend wäre, in Wiedermanns Augen aber nicht abendfüllend genug ist, schiebt er dazwischen noch Purcells "Dido and Aeneas".
Und das geht so: Benjamin Brittens Oper spielt im Rom am Ende der etruskischen Herrschaft; Prinz Tarquinius verwandelt die Stadt in sein Bordell, einzig Lucretia, die Gattin von General Collatinus, ist keusch und treu. Das reizt den Tyrann, er vergewaltigt Lucretia, die erträgt die Schande nicht und bringt sich um; die Römer jagen die Etrusker aus der Stadt. Zuvor jedoch buhlen die Generäle um Tarquinius' Gunst, Collatinus lädt ihn zum Gelage, bei welchem Purcells "Dido and Aeneas" aufgeführt wird, also Oper in der Oper, aber viel zu lang, um als Einlage zu taugen. Wiedermann verabschiedet sich einfach für 40 Minuten von Britten, Purcells Musik klingt herrlich im weiten Raum, das Orchester sitzt auf der Empore und spielt unter Ernst Bartmann im Hall verwaschen, aber zauberhaft im Klang.
Das ist nicht einfach die Kombination von Barockoper mit 20. Jahrhundert, es ist verschlungen. Aeneas (Herfinnur Árnafjal), der Dido so liebt wie sie ihn, muss auf Göttergeheiß und wegen Hexenlist die liebende Frau verlassen, um Rom zu gründen. Jenes Rom, in dem Brittens Oper spielt. Beide Frauen gehen an ihrem Los und an den Taten der Männer zugrunde.
Wiedermann lässt zu keiner Sekunde Zweifel am Geschehen. Der Chor, Jorge Jimènez und Carolin Ritter, ist kommentierendes Bindeglied zwischen Publikum und Aufführung, Vanessa Fasoli und die (stimmlich) großartige Franziska Zwink leiden als Freundinnen von Dido beziehungsweise Lucretia ostentativ mit, Torsten Petsch ist ein schurkiger, sehr viriler Tarquinius. Jeder Moment wird erklärt, es wird viel geschwommen, vom Chor und den Solisten, es gibt zwei Synchronschwimmerinnen als Wasserausdrucksballett, wo Britten in einer Erlösungshoffnung endet, schleppt ein Christus sein Kreuz. Das ist alles richtig, aber manchmal wünschte man sich eine Ruhe in der Szenerie, einfach um Franziska Zwink, dem am Ende ergreifenden Samuel Lawrence Berlad als Collatinus und natürlich Frauke Mayer als Dido und Lucretia zuzuhören. Lucretia springt mit Didos Abschiedsarie in den Tod - welch' ein Moment!