Musiktheater:Alles schwebt

Peter Sellars inszeniert in Amsterdam die neue Oper der Finnin Kaija Saariaho, mit dem Ausnahme-Countertenor Philippe Jaroussky als Engel.

Von Reinhard J. Brembeck

So aberwitzige Tonfolgen er auch mühelos hinzaubert, so leicht er in die größten Höhen vorstößt: Immer wirken der Mann wie auch seine Stimme etwas abwesend, leicht unbeteiligt. Philippe Jaroussky ist der nobelste und eigenartigste unter den Countertenören, einer, der sein eigenes Tun immer zu beobachten scheint und sich deshalb nie hemmungslos in eine Musik stürzt. Das verleiht den Auftritten und den Aufnahmen dieses Ausnahmemusikers den eigentümlichen Reiz eines Aliens. So erweckt Jaroussky stets den Eindruck eines Luftgeistes, über dessen wahre Absichten sein Publikum nur rätseln kann.

Niemand hat bisher diese verzaubernde Eigenheit Jarousskys besser verstanden und zu nutzen gewusst als die in Finnland geborene und in Paris lebende Komponistin Kaija Saariaho. Berühmt wurde sie im Jahr 2000 durch den Triumph ihrer mit esoterischer Liebessehnsucht gesättigten Troubadour-Oper "L'Amour de loin" bei den Salzburger Festspielen. Schon damals war auch der für existenzialistische Tiefenbohrungen bekannte Regisseur Peter Sellars mit dabei, ein Geistesverwandter der Komponistin. Suchen doch beide in der Kunst immer nach dem tieferen Sinn des Lebens, der sich nach ihrer Ansicht nur durchs Musiktheater erfassen lässt.

Musiktheater: Davone Tines als Fischer mit der Tänzerin Nora Kimball-Mentzos.

Davone Tines als Fischer mit der Tänzerin Nora Kimball-Mentzos.

(Foto: Ruth Walz)

Sellars war es, der Saariaho auch Ezra Pounds Übertragungen von zwei Stücken des traditionelles japanischen Nô-Theaters als Opernstoff vorschlug, deren Uraufführung Sellars jetzt in Amsterdam inszenierte. Herausgekommen ist bei "Only the sound remains" ein nachdenklich ruhiger und von einem herben Zauber umwehter Zweieinhalbstundenabend, der auch in Madrid, Helsinki, Paris und Toronto gezeigt wird.

Nichts ist hier der Erde verbunden, alles schwerelos

In beiden Stücken gibt Jaroussky eine Jenseitserscheinung, einmal den Geist eines Feldherrn und Lautenvirtuosen, dann einen Tennin, einen Engel. Da ist dieser durch barocke Virtuosenarien berühmt gewordene Sänger so sehr in seinem Element, als habe er nie etwas anderes gemacht. Das Befremdliche seiner Erscheinung geht voll auf in diesen Rollen, die eine einzige Botschaft auf zweierlei Weise formulieren: dass der größte Beweis für eine Welt jenseits des Sichtbaren einerseits die Musik ist und andererseits der Tanz. "Only the sound remains", nur der Klang bleibt - von Menschen, Komponistinnen, Erinnerungen.

Peter Sellars hat sich von Julie Mehretu ein großes abstraktes Bild an die Rampe hängen lassen, das an eine asiatische Kalligrafie denken lässt. Dieses Bild, eine Bank und ein paar Scheinwerfer genügen als Bühnenbild und Requisiten. Ähnlich sparsam geht Saariaho als Komponistin zu Werke. Im Orchestergraben sitzen nur ein Streich- und ein Vokalquartett, eine Flötistin, ein Schlagwerker und Eija Kankaanranta, die die finnische Zither spielt. Das ergibt unter der Anleitung des Dirigenten André de Ridder oft einen geradezu orchestralen Klang, meist herb gedehnt und eher an griechische Tragödie erinnernd denn an japanische Musik. Saariaho schreibt liebend gern gedehnt düstere Klänge aus dem Jenseits, der Unterwelt, dem Gespensterreich. Nichts hier ist der Erde verbunden, alles ist schwerelos, alles schwebt.

Davone Tines ist in beiden Stücken der Gegenspieler Jarousskys. Zu dessen elysischen Counter ist Tines' eleganter Bassbariton das irdische Gegenstück. In der Totenbeschwörung "Tsunemasa" finden sich die beiden Männer, der Geist und der ihm huldigende Priester. Sellars arbeitet die erotischen Untertöne dieses Stücks griffig heraus. In "Hagoromo" sind die Beziehungen raffinierter. Da klaut ein Fischer einem Tennin dessen Federkleid und gibt es erst im Austausch für einen himmlischen Tanz wieder heraus. Die Tänzerin Nora Kimball-Mentzos, ganz ruhiges Flattern, bricht die Idylle der Männer durch sparsam eingelegte Tanzschritte auf, zu denen Saariaho eine stark stilisierte Allemande schreibt, die sich von dem sehrenden Klangkontinuum des Vorhergehenden deutlich abhebt und als überraschend stimmiges Finale wirkt. Das Publikum erhebt sich sofort von den Sitzen, klatscht begeistert, aber nach nur zwei Vorhängen ist Schluss.

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