Musikprojekt:Wider alle Klischees

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Maria Moling von "Ganes" und Songschreiber Roland Vögtli erfinden sich als "Me + Marie" neu

Von Martin Pfnür, München

Als Maria Moling und Roland Vögtli im Mai den Song "You Don't Know" ins Netz stellten und damit erstmals Musik ihres Duo-Projekts Me + Marie in der digitalen Welt platzierten, könnte das bei so manchem Aficionado des ausgetüftelten Wohlklangs à la Ganes einen ordentlichen Kulturschock ausgelöst haben. Denn klar, man kennt die Südtirolerin Moling bisher vor allem als Teil des Trios, das sie 2010 mit ihren Cousinen Elisabeth und Marlene Schuen aus der Taufe hob. Die studierte Jazzschlagzeugerin ist dort für das komplexe rhythmische Fundament einer Musik zuständig, deren Zauber vor allem in ihrer Leichtfüßigkeit liegt. Helle, fein getupfte Klänge, im Fokus drei perfekt harmonierende Stimmen, die auf Ladinisch erklingen, einem alten Dialekt, der in den Alpentälern Oberitaliens gesprochen wird. Möchte man sich kurz halten, man könnte sagen, Ganes kreieren anspruchsvollen, schwebenden, schwer greifbaren Pop mit Wurzeln im Jazz, in der Bossa Nova, im Chanson.

Aber zurück zu "You Don't Know". Da ist zunächst mal dieses dreckige Riff, das einen, unterlegt von trocken pochendem Schlagwerk, in einen dunklen Song hineinzieht. Dann zwei ineinander verflochtene Stimmen, die eine glockenhell, die andere kreidig und linde. "You don't know, what love is", singen sie wieder und wieder, während das böse Riff stetig an Schärfe gewinnt und der Song sein wuchtiges Finale anbahnt. Minimalistisch, schroff, sehr sexy klingt das. Vergleichbar vielleicht mit dem roughen Sound des Duos The Kills, bestehend aus Kate Moss' Ex-Mann Jamie Hince und der Sängerin Alison Mosshart. Und dennoch, liebe Ganes-Fans: Fürchtet euch nicht! Me + Marie, das ist noch sehr viel mehr.

"Roland kommt ja aus der Rockmusik", sagt Maria Moling beim Gespräch im Münchner Café Kubitschek und erzählt von der Spannung, die sich ergibt, wenn zwei Musiker aus sehr unterschiedlichen Kontexten anfangen, an etwas Neuem zu arbeiten. Wie man sich langsam annähert. Kompromisse schließt. Sich an einem bestimmten Punkt trifft. Sich weiterentwickelt, ohne genau zu wissen, wo man da jetzt eigentlich hinsteuert. "Es fällt uns leicht, zusammen Songs zu schreiben", sagt Roland Vögtli, "es ergänzt sich einfach." Erstaunlich ist das schon, denn die Musik, die der Engadiner etwa mit seiner Band Nau spielt, sie könnte in ihrer Schwermetalligkeit nicht weiter entfernt von den filigranen Klängen sein, die Maria Moling mit Ganes schafft.

Ähnlicher sind sich die beiden da schon im Hinblick auf ihren kulturellen Hintergrund. Aufgewachsen im rätoromanischen Sprachraum Graubünden, schreibt Vögtli die Texte für Nau und sein Soloprojekt "Cha da Fö" in romanischer Sprache. Maria Moling lernte er kennen, als Ganes beim Dialekt-Radiosender Radio Rumantsch zu Besuch waren, wo er damals arbeitete. Man verstand sich bestens, und bald darauf stieg Moling auch bei Cha da Fö ein. Auf dem Debüt "Automatic" von 2014 ist sie als Backgroundsängerin, am Schlagzeug und am Piano zu hören.

Mit Me + Marie ließen sich Moling und Vögtli indes viel Zeit. "Es gab ja niemanden, der auf uns wartete. Also konnten wir das ganz entspannt angehen. Wenn wir Lust und Zeit hatten, etwas zu schreiben, dann haben wir das gemacht", sagt Maria Moling. Drei Jahre ging das so, dann hatten sie genügend Stücke für ein Album beisammen. Im Januar 2015 fuhren sie mit dem Material gen Norden, mitten hinein in den sibirischen Berliner Winter, um dort mit dem Produzenten Alex Sprave, der zuletzt auch das Ganes-Album "Caprize" verantwortete, aufzunehmen. Es folgte eine Phase der Hochdruck-Arbeit. Wintertag für Wintertag arbeiteten sich die beiden mit uralten Instrumenten - unter anderem einer Weltmeister-Orgel, einer Gibson L1 von 1917, einem Slingerland-Drumset aus den 50ern - in den Berliner Funkhaus Studios durch die Songs, feilten, verwarfen, verwirklichten. Nach zwei Monaten dann die Erkenntnis: Für den Gesang braucht es einen neuen Anlauf. "Die Stimmen stehen bei uns nun mal in Zentrum", sagt Roland Vögtli. "Klar kann man in ein 10 000 Euro-Mikro singen und sich denken ,Klingt eh gut'. Aber um die Emotionen, die wir transportieren wollen, wirklich rüberzubringen, brauchten wir einfach mehr Frische."

Also ließen sie die Aufnahmen ruhen, starteten über die Crowdfunding-Seite "We Make It" ein Vorfinanzierungs-Programm, um von jeglichem Termin-Druck unabhängig zu bleiben. Im Sommer fuhren sie für die Feinarbeit aufs Land, in einen Ort namens Riedlhütte im tiefsten Bayerwald. "Wir brauchen so was", sagt Vögtli und erzählt von der Weite der Landschaft, von formidablen Gesangs-Takes nach langen Spaziergängen, nach entspannten Lagerfeuer-Abenden oder körperlich intensiver Feldarbeit mit der Sense. Man sei nach so etwas "ganz anders aufgeladen", sagt er.

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Und ja, man merkt es diesem Album - "One Eyed Love" heißt es und wird voraussichtlich im Mai nächsten Jahres erscheinen - durchaus an, dass da jemand sehr viel Zeit investiert hat. Zehn Stücke finden sich darauf, fast alle kreisen sie um die dunkleren Facetten der Liebe, während sich so gut wie jeder Song aus einer anderen Quelle speist. Man hört bluesig Verschlepptes, betörende Folksongs, todtraurige Piano-Balladen, filigrane Gitarrenstaccati, satten, melancholischen Westcoast-Sound, einen Song auf Ladinisch, einen auf Romanisch, und immer wieder diese beiden höchst kompatiblen Stimmen. Meist harmonisch ineinander verschmolzen, manchmal auch im Duett. Und die Rockelemente? Werden sehr dezent eingesetzt und sind letztlich vielmehr ein Statement wider alle Klischees, denn das böse, dreckige Riff aus "You Don't Know", es stammt doch tatsächlich aus der Feder von Maria Moling.

Me + Marie, Mittwoch, 30. Dezember, 20 Uhr, Substanz, Ruppertstraße 28

© SZ vom 30.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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