Süddeutsche Zeitung

Musikmagazine:Umsonst und überflüssig

Endlich den Überblick verlieren, über all die überflüssigen Musikmagazine. Die Blätter sind kaum noch journalistisch und erzählen dem Leser, was er ohnehin schon weiß. Die auflagenstärksten gibt es gratis.

Dirk Peitz

109, 97, 66, 43, 34: Das ist die Menge an Popalben, die fünf der führenden deutschen Musikmagazine - in der Reihenfolge der Aufzählung Musikexpress, Intro, Groove, Rolling Stone und Spex - in ihren aktuellen Ausgaben rezensieren. Wer soll das alles lesen? Wer soll sich diese Platten alle anhören?

Außerdem gibt es in den Zeitschriften ja noch über viele der Bands, die hinter all den neuen Platten stecken, zusätzliche Artikel. Die aber erzählen meist die immergleiche Geschichte davon, dass die jeweiligen Autoren sich mit den jeweiligen Musikern in Hotelzimmern zu PR-Interviews getroffen und eine halbe Stunde lang übers Liedermachen gesprochen haben. Wer diese Aneinanderreihung dutzender gleichförmiger Texte aushält als Leser, muss schon ein großer Popfan sein. Oder die Magazine ungefähr so selektiv lesen wie Studenten ihr kommentiertes Vorlesungsverzeichnis.

Überleben um jeden Preis

In den vergangenen 25 Jahren, in denen das Monopol der einst fünf Majorplattenfirmen durch eine Vielzahl unabhängiger Labels gebrochen wurde, in denen der Computer das Musikproduzieren spottbillig machte und schließlich der Internet-Download auch die Verbreitung von Pop revolutionierte, ist die Menge an veröffentlichter Musik geradewegs explodiert.

Entsprechend verzweifelt wirkt mittlerweile der Versuch der Musikmagazine, den Überblick zu behalten. Die Leser danken es ihnen nicht: Würden die Verlage die alte Magazin-Weisheit ernst nehmen, wonach sich der Betrieb einer Zeitschrift unterhalb einer Auflage von hunderttausend Stück nicht wirklich lohnt, gäbe es keine mehr über Musik zu kaufen.

56 000 Exemplare hat Marktführer Musikexpress durchschnittlich im ersten Quartal 2007 pro Monat insgesamt abgesetzt. Den seit Jahren inhaltlich wie auflagenmäßig dahindümpelnden Magazinen, scheint es, geht es ähnlich wie den Plattenfirmen: So wenig die Leute im Download-Zeitalter noch für Musik Geld ausgeben wollen, so wenig auch für Texte darüber.

Die mit Abstand größten Musikmagazine sind die kostenlosen Kundenzeitschriften Musix und WOM-Magazin, beide mit einer Verbreitung von je über zweihunderttausend. Da sie in den Filialen von Media Markt und WOM ausgeteilt werden, handelt es sich um klassische Werbemittel. Obwohl das WOM-Magazin durchaus journalistische Qualitäten besitzt, würde man dort kaum auf die Idee kommen, den Kunden des Auftraggebers ernsthaft vom CD-Kauf abzuraten. Das käme geschäftsschädigendem Verhalten gleich.

Alles umsonst

Die größte unabhängige Gratis-Publikumsmusikzeitschrift Intro schafft immerhin eine monatliche Verbreitung von 135 000, das ist im Vergleich zum letzten Quartal 2006 eine Steigerung um fast zehn Prozent. Der Erfolg von Intro ist eher die Ausnahme von der Regel, und doch ist er ein Beleg dafür, welche Art der Pop-Lektüre die sogenannte "musikaffine Zielgruppe" heute bevorzugt: Lange galt die Intro als eine lesbarere Umsonstversion des Intelligenzblatts Spex, und bis heute schaut sie gleichsam aus einer nur leicht erhöhten Fan-Perspektive auf das Musikgeschehen, mit langsam verbesserter Textqualität.

Die ursprünglich beide in Köln produzierten Magazine beackerten früher verlässlich die gleichen Themen abseits des puren Pop-Mainstreams und waren sich ebenso verlässlich spinnefeind. Von Konkurrenz kann heute keine Rede mehr sein: Die zur Jahreswende mit ordentlichem medialen Begleitkonzert nach Berlin umgezogene Spex, deren Verlag dafür die komplette Redaktion auswechselte und daraufhin auch fast alle angestammten Autoren verlor, gibt aktuell um fünf Prozent Auflage ab und hat mit knapp 16 000 verkauften Heften bald nur noch ein Zehntel der Leserschaft von Intro.

Grausames Seminardeutsch

Dabei zieht das neue Konzept der nun nur noch zweimonatlich erscheinenden Spex eigentlich die richtigen Schlüsse aus der Überfülle des heutigen Musikmarktes: Die Zahl der Themen wurde zusammengestrichen, im Gegensatz zur Konkurrenz wird die journalistische Aufgabe wahrgenommen, das Wichtige herauszufiltern, nur die Qualität der Texte ist erschreckend.

Schon die erste Ausgabe begann mit einem wirren Editorial, das zwar inhaltliche Kontinuität versprach, gleichzeitig aber eine Art symbolischen Vatermord an den mächtigen einstigen Spex-Vordenkern Diedrich Diederichsen, Christoph Gurk und Tom Holert zu begehen versuchte. Letztlich wurde damit ein bereits herrschendes Missverständnis der Diederichsen-Nachfolger im deutschen Popjournalismus bestätigt: Sie halten die akademische Sprache ihrer Vorgänger fälschlicherweise für einen Aufruf zum nachlässigen Schreiben.

Ein eher plumper antijournalistischer Reflex ist da zu spüren, doch die Folge davon sind grausames Seminardeutsch und unfreiwillige Parodien auf klassische journalistische Formen wie Porträt oder Reportage. Die neue Spex lässt Musiker auch gern monologisieren, was nicht notwendigerweise einen tieferen Erkenntnisgewinn mit sich bringen muss. Trotzdem hält man dieses einfach Quatschenlassen dann für Interviews.

Tatsächlich sind die meisten der jüngeren deutschen Popschreiber entweder nicht willens oder in der Lage, ähnlich gut mit schwergängiger Theorie zu hantieren wie die Generation Diederichsen in den achtziger und neunziger Jahren. Der Letzte, der das konnte, ist Dietmar Dath, einst Spex-Chefredakteur. Dietmar Dath ist längst Feuilletonredakteur der FAZ, und die Feuilletons sind es auch, in denen hin und wieder jenseits bloßer Plattenveröffentlichungstermine über Musik nachgedacht wird.

Hochgeistiger Luxus?

Wenigstens den Ansatz einer Debatte über die Zukunft der seriösen Popkritik gab es anlässlich der ersten neuen Spex-Ausgabe. Angesichts des Hobbyjournalismus in Internet-Blogs und -Foren und der Tatsache, dass die Kritik ihren angestammten Wissensvorsprung vor den Lesern verloren hat, eine wichtige Auseinandersetzung.

Die Musik findet übers Netz heute genauso schnell zu den Lesern wie den Schreibern. Doch auch da stritten sich mit Thomas Gross und Diedrich Diederichsen wieder nur die Altvorderen, in den Musikmagazinen findet sich weiter keine Spur solcher Gedanken, mit denen das eigene Tun infrage gestellt würde.

Die modernen Manager der Musikmagazine, sagt ein Insider, der nicht genannt werden will, müssten verstehen, dass sie heute ein Luxusprodukt fabrizieren: Die Rolle des Informationsbeschaffers habe längst das Internet übernommen. Die Heftchefs müssten sich auf guten Magazinjournalismus besinnen: schöne Texte, schöne Bilder, schöne Layouts. Der Luxus, den ganzen Tag über Popmusik nachdenken zu dürfen, müsse sich in den Blättern endlich wieder darstellen.

Im Moment scheint es den meisten zu genügen, diesen Luxus allein zu genießen. An ihre Leser jedenfalls reichen sie ihn selten weiter.

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Quelle:
SZ vom 22.5.2007
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